Von Matthias Bosenick (30.01.2025)
Wo treibt sich das Antwerpener Wunderkind Dirk Serries denn noch überall herum? Im Free-Jazz-Projekt Martina Verhoeven Quintet zum Beispiel, wie kommt er dazu? Ah – er ist mit der Bandleaderin verheiratet, so kommt der Ambient-, Drone- und Proggitarrist also in den Jazz. „Indicator Light“ ist eine dreiviertelstündige Live-Improvisation, die den herkömmlichen Musikstrukturen so gut wie alles wegnimmt und eine dennoch hörbare Kakophonie errichtet, mit Schlagzeug, Piano, Saxophon, Kontrabass und eben Gitarre. Ornette Coleman grinst sich eins.
Ganz behutsam und beinahe unhörbar schleicht sich dieses Stück an, gestaltet sich aus dem Nichts heraus zu etwas unscharf Figürlichem und vermeidet es fortan weitgehend, greifbare Konturen zu entwickeln. Allmählich setzen alle Instrumente ein, ohne jeweilige oder gar zusammengehörige Strukturen, jedes für sich, mit einem dominanten Alt-Saxophon und dem dazu aufwirbelnd klimpernden Flügel, den willkürlich shuffelnden Drums, dem tieftönenden Kontrabass und den flächigen Gitarren. Wellenartig hat jeder der fünf Instrumentalisten seine Schwerpunkte, tobt sich aus, gebärdet sich wild, kommt zur Ruhe, der Track kreischt beinahe, es entsteht ein Lärm ganz ohne Druck, das Quintett spielt sich in einen Rausch.
Und ganz plötzlich, zur Hälfte des Tracks, entwickelt sich doch tatsächlich aus all diesem eine wiedererkennbare Struktur. Das Schlagzeug gibt einen Takt vor, an dem sich die anderen vier ausrichten und einen vertrauten, obschon freien Jazz zulassen, den man sich irgendwann in den Sechzigern vorstellen kann. Doch bleibt das Quintett dort nicht verhaftet, sondern senkt nach kurzer Zeit alle Intensität ab und formt komplett abstrakte, hingetupfte Figuren, jedes Instrument für sich nebeneinander. Jedoch ist dies nur ein Luftholen, denn alsbald verfällt die Band wieder ins energetische Freie, das sie gegen Ende abermals in nachvollziehbare Strukturen leitet, in eine Art Speed Jazz gewissermaßen, der zuhörends an Gewindeschraubungen zulegt und sich überschlägt – um zurück ins Nichts auszulaufen. Der Applaus am Ende ist verdient.
„Indicator Light“ entstand live im Paradox im niederländischen Tilburg, aufgenommen am 12. Februar 2023. Neben den Eheleuten – die Chefin, hauptberuflich Fotografin sowie in zahlreichen weiteren Konstellationen musikalisch unterwegs, spielt den Flügel, der Gatte bekanntlich Gitarre – standen auf der Bühne: Alt-Saxophonist Colin Webster aus London – mehrfacher und vielseitiger Begleiter des Ehepaars –, der in Rotterdam lebende Kontrabassist Gonçalo Almeida aus Portugal – unter anderem Teil von Roji, dem Projekt mit Jörg A. Schneider – und dem in Tilburg geborenen Amsterdamer Schlagzeuger Onno Govaert. Man kann dieses Quintett durchaus als Band bezeichnen, denn „Indicator Light“ ist bereits das zweite Album, nach dem ebenfalls live eingespielten dreiviertelstündigen One-Track-Debüt „Driven“, das im Jahr davor beim Roadburn-Festival in Tilburg zur Aufführung gekommen war.