Von Matthias Bosenick (14.12.2023)
Vier altgediente Postpunkrocker aus der Gegend um Bologna tun sich zusammen und machen das, was sie am besten können – und worauf sie den größten Bock haben: Sie gründen die Band MarsX und nehmen ein Album auf, auf dem sie alle Qualitäten bündeln, die sie aus früheren Projekten bis zurück in die frühen Achtziger mitbringen. Hier will niemand Hits haben, deshalb sind die elf Sogs so gut und vielseitig, auch wenn sie im Grunde nix neu erfinden. Darum geht’s nicht, hier liegt Rock’n’Roll vor, kraftvoll, melodisch, ansteckend und mit Ausflügen in Glam und Disco auch gar nicht so dunkel, wie es das Etikett Postpunk und Songtitel wie „Rotten World“ suggerieren.
Die Kraft der zwei Gitarristen ist ein Quell der Energie auf diesem Album, die Songs sind einfach mal saufett und lebendig, dazu ist der Schlagzeuger ein kleiner Shaker, der mit dem Schellenkranz gelegentlich zusätzliche Mitwippmomente generiert. Das erinnert an The Godfathers früher und an The Sandmen nach der Reunion, als sie ihren Classic Rock plötzlich in dunklen Farben erdeten. Auch MarsX liefern an mancher Stelle eine mal melancholische, mal angepisste Stimmung mit, was dann den Momenten mit Tamburin – etwa in „I Feel Lovely“ und „The Rules“ –, dem eigenwilligen Discobeat in „Rotten World“ oder dem Glamrock von „Two Holes“ einen besonderen Kontrast verleiht.
Nicht nur hat die Band ordentlich Power, auch Melodien sind die vier Musizierenden nicht abgeneigt. Das schloss sich ja im Punk und im Postpunk noch nie aus, dass man auch mit räudiger Musik fröhliche Stimmungen generieren kann. Dazu passt der rauhe Gesang von Bandkopf Mars Valentine, insbesondere in gemäßigteren Tonlagen; sobald er jedoch mal etwas in die Höhe schnellt und die Töne etwas länger halte möchte, stößt sein Organ an natürliche Grenzen, aber das kommt nur selten vor. Das Zusammenspiel der vier Bandmitglieder ist formidabel, da hört man, dass sie allesamt auf mächtig viel Erfahrung zurückgreifen können.
Angefangen beim Bandchef, der sich hier Mars Valentine nennt, weil er dieses Pseudonym von seiner vorherigen Band The Valentines mitbringt. Eigentlich heißt der Sänger und Gitarrist Marzio Manni und hat, begonnen bei The Tribal Noise 1983, eine lange Liste an Postpunk-, Punk- und Alternative-Rock-Bands, in denen er in Bologna mitspielte, darunter Malavida!, Hong Kong 99 und The Black Arabs sowie Klasse Kriminale und Loveless. Zweiter Gitarrist ist Riccardo „Ricky“ Pedrini von Oi!-Punkbands wie Nabat und Bacteria, ebenfalls aus Bologna. Am Bass hört man Franz „Attack“ Dal Cerè, der schon 1982 in Mailand bei den Hardcorepunks Rappresaglia mitspielte sowie später bei Black Rose Kingdom, Thee Boozers und Sottocultura, letztere abermals aus Bologna. Schlagzeug und Percussion bedient Cesare Ferioli alias Big Mojo, den Manni bereits von Tribal Noise kennt und der auch bei den Bluesbands Dirty Hands und The Dirtyhands sowie den Retro-Rock’n’Rollern Jack Daniel’s Lovers und der Band Wu Ming Contingent aktiv war. Für Tasten- und Streichinstrumente holten sich MarsX den versierten Studiomusiker Glezös ins Haus, eigentlich Glezòs Alberganti, auch Anx Army genannt, der kaum weniger wegweisende Projekte im Lebenslauf stehen hat: Glezos e gli UFO, Schwarz Of Galiorka, UFO Piemontesi, The Gags und Daltons sowie haufenweise Alben, an denen er als Gast beteiligt war.
Mit Fug und Recht bezeichnen sich MarsX als italienische Subkultur-Supergroup. Da sich die Beteiligten ohne jeden Erfolgsdruck zur MarsX zusammentun, ist es gerade die Spielfreude, die das Debütalbum so lohnenswert macht. Kurios: In Venice gibt’s noch jemanden namens MarsX, aber nicht in dem Venedig-Venice, sondern in den USA – nicht zu verwechseln also. Die MarsX aus Bologna sind im Internet hingegen nicht zu finden, die nach dem Tod von Sängerin Vale Valentine stillgelegten The Valentines wiederum schon, über die ist das Album möglicherweise zu beziehen.