Mark Springer/Neil Tennant/Sacconi String Quartet – Sleep Of Reason – Sub Rosa 2025

Von Matthias Bosenick (28.05.2025)

„El sueño de la razón produce monstruos“ ist die Nummer 43 des achtzigblättrigen satirischen Zyklus‘ „Los Caprichos“ aus Aquatinta und klassischer Radiertechnik, mit dem Francisco de Goya zum Ende des 18. Jahrhunderts seine gesellschaftskritische Sicht der Welt darlegte. Dieses Blatt griffen Neil Tennant, seit über 40 Jahren Sänger des Synthiepop-Duos Pet Shop Boys, und Mark Springer, bis vor 40 Jahren Mitglied der Experimental-Popband Rip Rig + Panic, der auch Neneh Cherry angehörte, auf und komponierten das dreiteilige Stück „Sleep Of Reason“ drumherum. Für den ersten Teil verfasste Tennant Texte, jenen und den zweiten begleitet das Sacconi String Quartet, den dritten performt der Komponist solo am Piano. Das Ergebnis: viel Kopf, wenig Herz, reichlich artifiziell und spröde. Aber was weiß denn schon jemand, der von Klassik keine Ahnung hat.

Ein Mann schläft zusammengesunken mit dem Kopf auf den Armen am Tisch sitzend ein, hinter ihm sammeln sich allerlei Tiere der Nacht, von Eulen über Fledermäusen bis zu Katzenartigen, deutlich sichtbar in der Nähe des Mannes, mit der Dunkelheit des Raumes verschmelzend hoch über ihm. „Der Schlaf der Vernunft erzeugt Ungeheuer“, behauptet de Goya, und das greift Tennant für die ersten sechs Stücke von „Sleep Of Reason“ auf, es geht viel um Monster. Mit „Phantoms And Monsters“ startet das Album, „A Witch And A Devil“ folgen, Titel wie „My Friend The Monster“ und „The Madness Of The Summer“ schließen sich dem an. Woran auch immer es liegen mag: Das Ungemach der Horrordarstellungen, angewandt auf den Horror 225 Jahre später, stellt sich beim Hören der Musik nicht ein.

Der Opener ist zackig und spröde, und diese Merkmale treten über die gesamte Spielzeit der ersten CD immer wieder zutage. Die Stimme erscheint losgelöst von der sperrigen Streichermusik, wie nicht ganz passend darübergelegt, als hätte jemand ein Mash-Up versucht, und dieses Mash-Up wirkt reichlich artifiziell. Im zweiten Stück gibt’s erstmals einige erhellende Pizzicato-Effekte, die für etwas Wärme sorgen. „Truth Is For Losers“ skandiert Tennant auf eine Weise zum Streichquartett, dass man unweigerlich „Hurz!“ rufen möchte. „Schmutzig“ wirkt wie eine Vaudeville-Persiflage, künstlich dramatisch. Erst im fünften Stück singt Tennant zwischenzeitig wärmer, unmittelbarer, weil er seine Stimme dann senkt, und fügt sich damit harmonischer in die Musik ein. Das finale gemeinsame sechste Stück hat etwas von einem russischen Drama.

Das waren die ersten rund 23 Minuten mit Tennant. Die sechs Tracks gehen fließend ineinander über, ebenso fließend geht es in den zweiten Teil weiter, der ohne ihn stattfindet, mit weiteren über 20 Minuten „Morn“, „Noon“ und „Night“. Ohne Gesang wird umso deutlicher, wie reduziert, minimalistisch die Kompositionen sind. Man kann auch sagen: simpel, auch auf der Piano-Seite gibt es zahlreiche Passagen, in denen sich lediglich zwei Töne abwechseln. So erinnert „Morn“ beispielsweise an den Score zu „Der weiße Hai“. „Night“ hingegen vermittelt ausgezeichnet die titelgebende Tageszeit, das Stück ist dunkel, tragisch, schwermütig und schmeckt nach Vodka.

Adieu Streichquartett, die zweite CD gehört allein dem Pianisten. Gut eine Stunde lang darf der sich in „Break“, „Flight“, „Dark“ und „Moon“ – nun: austoben wäre nicht ganz das angemessene Wort, ausschlafen hingegen trifft es auch nicht. Das erste Stück vermittelt etwas von der guten Laune, die Yann Tiersen für „Die fabelhafte Welt der Amélie“ initiierte. Im zweiten Stück beginnt Springer auch mal damit, den Fuß von der Bremse zu nehmen und die Klaviernoten mit Hall zu versehen; die Musik wird wärmer und erinnert hier bisweilen an Richard Clayderman. Naja, und irgendwie geht es so weiter, der einsame Mann am Klavier bedauert sein Leben und holt ab und zu doch nochmal Schwung und wird zum Schluss hin auch wieder etwas schwermütiger.

Möglicherweise Musik für Leute, die sagen: „Ich mag ja keine Klassik, aber das gefällt mir.“ Wenn man also von Klassik oder Neo-Klassik keine Ahnung hat, erscheint einem dieses Album streckenweise amateurhaft, beliebig, wie Gefiedel und Geklimper. Als Soundtrack für eine BBC-Dokumentation kann man sich das gut vorstellen, auf dem Gebiet ist Springer hin und wieder ohnehin tätig. Tja, und dann die Stücke mit Tennant. Man wundert sich darüber, wie unbequem seine sechs Lieder einem erscheinen. So war es auch schon mit „What Keeps Mankind Alive?“ von Brecht/Weill, das die Pet Shop Boys 1993 auf einer B-Seite von „Can You Forgive Her?“ unterbrachten: Tennant singt zackig-militärisch, die Musik ist spröde und ruckig, es fügt sich nicht überzeugend zusammen. Genau wie hier.

Und das ist merkwürdig, denn im gigantischen Oeuvre der Pet Shop Boys gibt es zahllose Songs, die stark nach Klassik klingen und in denen Tennant seine Stimme harmonisch in die Musik einbettet. Sagen wir „It Couldn’t Happen Here“ oder „Jealousy“ oder gar „Left To My Own Devices“, es funktionierte stets tadellos. Gut, Harmonie ist offenbar nicht der Anspruch von Springer und Tennant, stattgegeben, aber dann lässt einen das Ergebnis eben teilnahmslos mit den Schultern zucken. So aufregend ist es nämlich nicht. Holt man sich eben ein Album vom Kronos Quartet aus dem Regal und hört sich wahrhaftig experimentelle Neo-Klassik an.