Von Matthias Bosenick (04.06.2025)
So richtig klar wird nicht, warum Mark Pritchard und Thom Yorke einander brauchten, um „Tall Tales“ zu erstellen. Die Erwartungen an dieses gemeinsame Album sind hoch, zumal es beim IDM-Label Warp erscheint, aber die zwölf in der Coronazeit per Email entstandenen Tracks hätte jeder von beiden auch allein hinbekommen. Yorkes Wimmern und Pritchards sphärische Ambientsounds lassen jedenfalls beim Hören eher die Schultern als die Seele zucken. Es gibt auch Konturen auf diesem Album, und die sind dann auch ganz attraktiv, aber ohne Wumms, und man behält es allein deshalb nicht als Offenbarung im Hinterkopf.
Erst im vierten Track, der Single „Back In The Game“, verfestigen sich die Elemente: Zuvor hatte man mehr als eine Viertelstunde lang dem Duo dabei zuhören müssen, wie es seine Anteile diffus vermengte, also ein klägliches Wimmern und wattige Sounds. Dieses „Back In The Game“ nun besticht dadurch, dass Yorke endlich mal klar und ausdrucksstark singt, in mittlerer Stimmlage zumal, und dass Pritchard seinen Synthies auch mal so etwas wie Beats entringt, irgendwo in den frühen Achtzigern bei Electropionieren geborgt. Ebenso verfährt das Duo in „The White Cliffs“, nur komplett langsam zum Retro-Synthiebeat; hier singt Yorke mit sich selbst im Duett, tief murmelnd und im Falsett äthernd. Das kann man alles in allem gut hören.
Später bringen auch „Gangsters“ und „This Conversation Is Missing Your Voice“ mehr elektronische Energie ins Album, abermals an die Oldschool-Pioniertaten angelehnt. Dennoch ist Yorkes Stimme bisweilen zu hoch, auch wenn letztgenannter, ein munterer minimalistischer Uptempo-Song, angenehm an Super_Collider erinnert. Oder auch an bereits vollzogene Spielereien von Yorke solo oder mit seiner Hauptband Radiohead. In „Happy Days“ ist das Synthie-Schlagzeug eingesetzt wie Military-Drums, die stoisch haufenweise Geisterstimmen begleiten, das ist ein netter Einfall. Für das neoklassische „The Man Who Dance In Stag’s Head“ senkt Yorke abermals die Stimme ins Angenehme, dafür gibt’s bis auf den gelegentlichen Schellenkranz keine Beats. Das war‘s, der Rest ist Watte.
So richtig experimentell, wie die Protagonisten und das Label „Tall Tales“ ankündigen, ist es nicht. Dafür hat man schon viel zu viel wahrhaftig experimentelle Musik gehört, als dass man dieses eher weiche, angepasste Werk dazuzählen würde. Ausnahmen wie das gespenstische Titelstück mit vielfach gedoppelten Stimmen zu geisterhaften Sounds reichen für das Experiment-Etikett nicht aus. Da waren selbst Radiohead schon umwälzender als das hier.
Dabei ist die Entstehungsgeschichte gar nicht so unspannend: Für das Remix-Album zu Radioneahs „The King Of Limbs“ lieferte der Australier Pritchard 2011 zwei Beiträge, 2016 sang Yorke auf Pritchards Album „Under The Sun“ die Single „Beautiful People“ und 2019 remixte Pritchard „Not The News“ von Yorkes Album „Anima“. Das alles war der Grundstein dafür, dass Yorke zu Beginn der Pandemie mit Pritchard in Emailaustausch trat und ihn um Demos bat, für die er nicht nur Texte verfasste, sondern seinerseits Instrumente einspielte. Beide arbeiteten mit analogen Synthies und ließen sich von Gästen weitere Instrumente einspielen, etwa Oboen, Klarinetten, Harmonium und sogar Schlagzeug, dazu auch Gesang. Doch das liest sich alles viel fetter, als das Ergebnis klingt, leider.
Merkwürdig ist auch, dass es zu „Tall Tales“ einen Film gibt, gestaltet wie das Cover-Artwork von Jonathan Zawada. Den Film soll es wohl irgendwo in Kinos mal zu sehen gegeben haben, aber warum man das Album dann nicht als DVD oder BluRay veröffentlicht, wenn es schon als CD zu haben ist, ist schleierhaft. Na, so schleierhaft wie die Musik in weiten Teilen ja auch.