Von Matthias Bosenick (17.12.2018)
Der Titel dieses Hörbuchs ist programmatisch (und im Original in der Interpunktion fehlerhaft): Marcel Pollex fühlt sich vom Rest der Menschheit genervt und wehrt sich gegen diese Zumutungen mit seinen hundsgemeinen Texten. Für gute Haare, die er lassen könnte, findet er keine Ausnahmen, und schafft Projektionsflächen für jeden, was unter Umständen auch mal für Schmerzen beim Hörer sorgen kann. Nicht nur deshalb bleibt so manches Lachen im Halse stecken, denn viel zu oft muss man ihm Recht geben, auch, wenn man nicht auf der selben Seite steht wie er. Den Ruf nach Ordnungshütern indes, diese Drohung nimmt man ihm nicht ab. An denen fände er doch nur wieder etwas auszusetzen.
Gleich mit dem Intro steckt Pollex sein Terrain ab: Er deutet alle möglichen Gattungen an, die sein imaginiertes Publikum sofort ablehnt. Damit verweigert er sich erstens als Vertreter der herkömmlichen Genres wie Poetry Slam, Comedy, Satire oder Betroffenheitslyrik und straft zweitens sein Publikum ab, das mit einer überheblichen Erwartungshaltung an seine Lesungen herangeht und am Ende doch nur das Altbekannte beklatscht. Ein böser, ein typischer Einstieg. Und diese Haltung behält Pollex bis zum Ende bei, echauffiert sich über Pseudo-Altruismus, Kaltherzigkeit, Trendhinterherläufer, Populisten, Selbstüberschätzer, Dummschwätzer, Besserwisser, Nichtigkeiten, Egoisten, Individualtouristen, also auch Leute, die sich auf der guten Seite wähnen und sich doch nur in ihrer Selbstgerechtigkeit suhlen. Dafür kreiert Pollex Mono- und Dialoge, in denen er Menschen aufeinandertreffen und ihre Untiefen ausleben lässt.
Dabei hat Pollex einen überwältigenden Blick für Details und Ganzheitlichkeit: Sobald er ein Thema aufgreift und es in einer bestimmten Art seziert, geschieht dies so umfassend, dass man über den weiten Horizont und die Fähigkeit zur vollkommenen und vollständigen Assoziation nur staunen kann. Exemplarisch sei hier der Hosenkauf herangezogen, in dem Pollex seinen Ich-Erzähler Parameter aufzählen lässt, die sein gewünschtes Beinkleid zu erfüllen hat, um ihn als Person zu repräsentieren; was Pollex da zusammenträgt, ist große Kunst. Diese dringt ohnehin konstant aus seinen Texten; einen Porträtfotografen etwa lässt er sagen, „man sitzt, wie Arno Schmidt 1954 gesprochen hat, so sitzt man“, und man staunt über diesen Einfall, wie vermutlich das Publikum über Arno Schmidt 1954 gestaunt hat. Übertreibung und Wiederholung sind zudem gültige Stilmittel Pollex‘, mit denen er seine Anliegen untermauert.
Nicht nur als Schreiber, auch als Performer ist Pollex besonders. Typisch für seine Vortragsweise sind die sich überschlagende Stimme und die herablassende Art, mit der er seiner Umwelt begegnet. Man hört es überdeutlich heraus, wie angewidert, genervt, verächtlich, entsetzt, spöttisch Pollex die Welt betrachtet. Bedauerlich ist lediglich, dass man ihn beim Performen nicht sieht, denn seine Bühnendarbietung gehört eigentlich zum Gesamtkunstwerk, und auch das Ausbleiben von Publikumsreaktionen bei dieser Studiolesung ist zunächst befremdlich. Doch funktioniert die Polemik des Pollex auch ohne Resonanz, die findet eben im Kopf des Hörers statt. Oder im Herzen. Kurioserweise erinnert Pollex‘ Stimme hier gelegentlich an die von Ilja Richter, und das positiv.
Beschränkte sich Pollex nun darauf, lediglich die anderen, und also wirklich alle anderen, zu kritisieren, wäre „Wenn ihr nicht aufhört“ kein Vergnügen. Doch sympathisch macht ihn, dass er seine Selbstzweifel durchsickern lässt; es gibt Meta-Texte auf dieser CD, die ihn verletzlicher zeigen, als es seine lautstarke Empörung erscheinen lässt. Und nicht zuletzt: Er hat ja Recht. Viel zu oft, und das kann man ja nicht ihm anlasten, er ist nur der, der des Kaisers neue Kleider benennt, der Überbringer der schlechten Nachricht mithin.
Beteiligt an diesem Hörbuch ist übrigens noch der fantastische Musiker Sven Waida, der Pollex‘ „Endless Nameless“ generiert. Das Hörbuch eignet sich besonders gut im Pendelverkehr.