Von Matthias Bosenick (30.10.2025)
Selbst als jemand, der sich in Braunschweig viel herumtreibt, kann man nicht alles kennen – die „Braunschweiger Kneipengeschichten“ von Marc Halupczok vertiefen Kenntnisse und erweitern Horizonte, und das auf eine gleichwohl sachliche, ironische und unterhaltsame Art. Mehr als die Kneipen selbst stehen hier natürlich Wirte, Bedienungen und Gäste, also die Menschen rund um den Tresen, im Mittelpunkt. Das Trinken folgt erst an zweiter Stelle, aber die Lektüre regt schon sehr dazu an. Für das Buch erledigte der Autor den nächtlichen Alkoholkonsum stellvertretend für die Lesenden, die von seinen Erfahrungen nun profitieren dürfen.
 Natürlich kann die Auswahl der Kneipen nicht vollständig sein, den Anspruch hat das Buch auch gar nicht. Dafür ist Braunschweig viel zu groß und hat eine viel zu lange Gastronomiehistorie. Die reißt Halupczok immer wieder an, sowohl, wenn er eine Konkrete Einrichtung porträtiert, als auch, wenn es um deren Nachbarschaft geht. So lässt das Buch eben Lücken der persönlichen Erfahrung, die man als Lesender einfach im Geiste weiterspinnt – und sich mit dem Autoren auf das für ihn Wesentliche konzentriert.
Denn das liegt in den absurden, herzenswarmen und legendären Geschichten, die er zusammenträgt, aus eigener Erfahrung – stets gekennzeichnet – sowie aus Gesprächen. Man bekommt den Eindruck, Halupczok kenne sie alle, Wirte und Bedienungen, und das quer über das Stadtgebiet verteilt. Überall scheint er seine Stammplätze zu haben und sich seine Nächte um die Ohren zu schlagen, dabei kann so ein Leben ja gar nicht so viele Nächte haben, wie er Geschichten hat.
So streift man mit Halupczok durch die Stadt, durch die Nächte, durch Vergangenheit und Gegenwart, vom Univiertel über den Handelsweg durchs Magniviertel und die Innenstadt bis in die Randbereiche im Östlichen wie im Westlichen Ringgebiet. Sein Streifzug deckt Szenekneipen wie etablierte Klassiker ab, darunter Riptide, Klaue, Tante Puttchen, Kottan, Funzel, Movie, Eselsbrücke, Gambit, Schabreu, Silberquelle, McMurphy’s, Eusebia oder Barnaby’s Blues Bar, deren Gründer Peter Lories er dieses Buch widmet, weil jener zur Drucklegung verstarb. Nicht ahnen konnte er, dass ihm zur Veröffentlichung auch Helmut Pichler von der Strohpinte folgen würde.
Die Mischung aus eigenem Erleben und direkter Abfrage von Primärquellen macht die Lektüre dieses Buches sehr lebendig. Wie man den auch als Till Burgwächter bekannten Autoren kennt, garniert er seine grundsätzlich sachlichen, stets leidenschaftlichen und anschaulichen und auch subjektiven Geschichten gern mit ironischen Spitzen, sobald sie allzusehr ins Absurde münden, und das geschieht hier zur Unterhaltung der Lesenden nicht selten. Zudem macht Halupczok zwangsläufig, das ist beim Grundthema gar nicht anders möglich, auch Ausflüge in andere Fachgebiete aus Braunschweig, wie Brauereien, Stars und Sternchen und natürlich die Eintracht, deren beliebter Ex-Trainer Torsten Lieberknecht auf einigen Fotos zu sehen ist. Denn Fotos fügt der Autor zur Abrundung hinzu, sowohl historische als auch aktuelle aus eigener Apparatur, und so kann man mit ihm seine eigenen Erinnerungen abklappern oder erweitern.
À propos erweitern: Natürlich lässt dieses Buch Lücken, und so darf man sich hoffentlich auf einen zweiten Teil freuen, mit der genannten Strohpinte, der Bassgeige, dem Treuen Husaren, Charlys Tiger, dem Havanna, der Kogge, dem Kollontai, dem Savoy, Harrys Bierhaus, dem Café MokkaBär, dem Anno 1826, dem Wild Geese, der Gear Box, dem Kontakthof sowie Bars, Kneipen und Cafés, die man auch als Lesender gar nicht mehr kennt, weil Braunschweig einfach – der Autor sagt’s zum Geleit – eine viel zu große, lebendige und lange Kneipentradition hat. Zum Glück! Auch Nicht-Braunschweiger dürften dieses Buch überdies mit Genuss verköstigen, denn die Geschichten funktionieren auch ohne Ortskenntnis, und alle anderen freuen sich über die lokalen Details „von Klauen, Enten und Gespenstern“, wie der Untertitel ergänzt. Und jetzt erstmal ein Wolters und einen Jägermeister, am besten nachts in der Lieblingskneipe.
 
			