Von Matthias Bosenick (11.07.2012)
Die Sache mit dem Journalismus. Wie groß die Spannweite in Sachen Stil, Sprachqualität, Basiswissen und dergleichen mehr sein kann, zeigt der Blick auf Medien wie Bild, Du, Zillo, Mare oder ein beliebiges Stadtmagazin. In den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren hat sich da eine Menge verändert: Journalist kann jetzt – wie Musiker – jeder werden, gedruckt wird, was der Willfähige liefert, und gleichzeitig öffnete sich der Hochjournalismus für Mischformen. Marc Fischer bediente diese Mischform, wenn er sie nicht sogar im deutschen Sprachraum erzeugte. Vor seinem Freitod stellte der Weltenbummler eine Sammlung ausgewählter Reportagen zusammen, die jetzt als „Die Sache mit dem Ich“ erscheint.
In diesem Buch kann man abtauchen. Fischer schreibt, als würde er einem seine Erlebnisse erzählen, inklusive den Gedanken, die er sich während seiner bisweilen skurrilen Begegnungen machte. Das macht die Lektüre besonders persönlich und erlaubt Einblicke in die Autorenseele. Bei genauer Betrachtung allerdings keine tiefen: Fischer zieht trotz der Offenheit ganz harte Grenzen. Seinem Freitod etwa kommt man nicht auf die Spur, seinem Geschmack und seiner Haltung nur bedingt. Wenn er sich mit einer Sache konfrontiert, heißt es nicht automatisch, dass er sie gutheißt. Er nimmt sie wahr und beschreibt sie, er übernimmt also die Rolle der Vermittlers zwischen der Situation und dem Leser.
Obwohl Fischer als Weltenbummler gilt und in den Texten auch selbst sehr oft seine kuriosen Auswärtserlebnisse erwähnt, handeln die wenigsten Texte davon. Meistens behandeln sie Geschehnisse, Ansichten oder Phänomene aus Berlin, Deutschland oder der Seele. Besonders gelungen ist da der Text „Fünfzehn“, in dem Fischer eine Begegnung mit einer eben Fünfzehnjährigen beschreibt, im Verlauf derer er seine Überheblichkeit der Altersstufe gegenüber auf den Prüfstand stellt. Solche Ansichtenwandel sind indes selten, umso intensiver wirkt genau diese Geschichte nach. Oft bleibt Fischer lapidar und ironisch, häufig ist der Gegenstand seiner Reportage nicht der Gegenstand des Textes, manchmal sind die Reportagen gar etwas flach. Auf diese Weise verknüpft er eben den Journalismus mit Belletristik – und lässt die Frage aufkommen, ob er wirklich alles so erlebt hat, wie er es aufschrieb, oder ob er da nicht einfach seiner Phantasie freien Lauf ließ, um den gewünschten Effekt zu erzeugen.
Einen eigenwilligen und eigenen Stil kann man Fischer indes nicht absprechen. Zudem kann man „Die Sache mit dem Ich“ auch als Lehrbuch auffassen, wenn man sich selbst dazu berufen fühlt, journalistische Arbeit zu leisten, und nach Hinweisen, Leitbildern oder Ideen sucht. Wenn nicht, ist zumindest die Lektüre dieser Geschichten ein Vergnügen.