Von Matthias Bosenick (15.03.2022)
Kein leichter Happen, den einem die beiden musizierenden Autoren oder schreibenden Musiker Marc Domin und Jonas Kolb da vorwerfen. Einmal formal: Reisebericht, Briefroman, Tagebuchroman, Gedicht und Collage bilden das Gesamtwerk „Kollision zweier Apostelschädel“. Und zweitens inhaltlich: Zwischen Horror, Blutbad und Porno siedeln sie die Geschichte von zwei Forschern an, die 1880 die titelgebenden Reliquien unschädlich (ha, ha) machen wollen – und nutzen dies selbstredend zur gepflegten Provokation. Letztlich ist klar: Mit der „Kollision zweier Apostelschädel“ ist das Buch selbst gemeint, das aus dem nämlichen Vorgang hervorging, denn bei diesen Dickköpfen handelt es sich natürlich um die der Autoren.
Fantasie haben sie ja, und diese gebiert Absurdes, in Bild und Ton, quasi, denn auch die Texte und Musik von Kolb und Domin sind ja stets gespickt mit Absurditäten. Da nimmt es nicht Wunder, dass sich dieses in dieser Gemeinschaftstat „K2A“ fortsetzt: Brieflich tauschen sich hier die Herren Kolb und Domin, die kurioserweise heißen wie die Autoren, zunächst über dämonische Beobachtungen und die aus diesen resultierende Gefahr für das christliche Abendland und den Rest der Welt aus. Sie beschließen, der Ursache auf den Grund zu gehen, wortwörtlich, denn diese verorten sie im Hafenbecken der Stadt Danzig. Domin nimmt die Reise mit Gefolgschaft auf sich, davon ausgehend, Kolb habe sich in Abwehr des Bösen selbst verbrannt. Ein kopfloser Butler, eine zerstückelte Frauenleiche, treulose Afrikaner, Geisterschiffe und lüsterne Nymphen spielen wichtige Rollen, bis der Versuch, das Böse zu besiegen, in der Gegenwart seine kaum weniger absurde Fortsetzung im Bau eines Puppengottes findet.
Der Auftakt gestaltet sich recht sperrig, mit den Briefen, die sich die beiden in ihren eigenen und eigensinnigen Stilen austauschen und die inhaltlich aufgrund der absichtlich gewählten Gedrechseltheit nur schwer nachzuvollziehen sind. Hier spielt jeder seine eigene Sprache aus; Domin geht schnodderig in die Breite und verknüpft so viele Themen wie möglich, Kolb geht gestelzt nach Innen und verdreht ein klaustrophobisch gestaltetes Ich. Beide lassen die Geschehnisse zwar aufeinander aufbauen, jedoch versetzt mit unverständlichen Wendungen, weshalb der Lesefluss erst so richtig aufkommt, als jeder seine eigene Strecke bekommt und sich austobt. Domin fabuliert da von der Reise nach Danzig und Kolb hernach von der Jetztzeit. Alsbald verschwimmen die Schreibstile sogar und lassen sich nicht mehr eindeutig den Autoren zuordnen; da bekommt man am deutlichsten den Eindruck einer Gemeinschaftsarbeit, die dann in gemeinschaftlich erstellten digital verfremdeten Collagen endet.
Schwierig gestaltet sich der Zugang zur gewählten Sprache. Zwar siedeln Domin und Kolb die Geschichte zunächst im Jahre 1880 an und versuchen auch, Inhalte und Zeitgeist zu imitieren, bleiben aber doch viel zu sehr bei sich, um überzeugend den Sound der Zeit zu transportieren. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Natur der Autoren, beinahe zwanghaft provozieren zu wollen. In einer Publikation in diesen Zeiten unbedingt mehrfach die Wörter „Neger“ und „Mohr“ unterbringen zu müssen, wirkt plakativ und distanzlos; das vom Lesenden mitgedachte Argument, in der gespielten Zeit sei dies womöglich üblich gewesen, greift nicht, da sich eben die Sprache um diese Wörter herum nicht schlüssig an die Kolonialzeit anpasst. Vulgäre Pimmeleien und religiöse Spöttereien steckt man da im Vergleich leichter weg, auch wenn sie zum Teil wie mit dem Holzhammer in die Geschichte hineingeprengelt wirken.
Zwar garnieren die Autoren die grundsätzlich sauspannenden Geschehnisse mit einem spöttischen und latent humoristischen Unterton, erschweren es damit jedoch, die Abläufe durchgehend als gruselig aufzufassen. Dabei setzen die Autoren lustige Pointen (die Hausbar Domins muss beachtlich sein) und bemerkenswerte Anker: Die „Kollision zweier Apostelschädel“ ist eine Art Hub, von dem aus es Links in alle möglichen Richtungen gibt. Die zerstückelte Frau Marjorie etwa heißt wie eine Internetplattform, auf der Artikel erscheinen, die für Wikipedia nicht relevant genug sind, und dort findet sich auch ein Eintrag zu Domin. Der Titel des Buches ist einem Lied Kolbs entnommen, das er 2021 unter dem Alias Puppengott auf dem Album „Papa ist zurück“ herausbrachte. Zudem veröffentlichte Kolb bereits 2016 das Buch „Kollision zwier Apostelschädel: Wie man einen Puppengott baut“, damals unter dem Pseudonym Machyyre Ischarijott. Zum Finale hin gleiten die Autoren bei voranschreitender Handlung zusehends in die Metaebene, auf der sie von sich selbst schreiben und sogar die Lesenden ansprechen.
Eine harte Lektüre, auch physisch: Das Buch ist so groß wie eine Single und wiegt so viel wie eine kleine Plattensammlung. Und doch eine mit Sogwirkung: Der kopflose Butler Wilcke verfolgt einen noch lang in den Alltag. Womöglich sollte man schnellstmöglich zusehen, dass man einen Puppengott gebaut bekommt.