Jonas Kolb gehört definitiv zu denjenigen, die die erzwungene Coronazurückgezogenheit beflügelt: Unablässig produziert er Album um Album, unter den verschiedensten Aliassen und auf den verschiedensten Medien. Sein zweites „Widderschädelmixtape“ als Machyyre ist schon überholt, sobald man es nur einmal durchgehört hat. Das mit dem Mixtape stimmt doppelt: Der Schöninger veröffentlicht das Album auf Kassette und die Musik darauf stellt einen wilden Querschnitt durch sein Schaffen dar, von Black Metal über Gothic, Industrial und Kammermusik bis Spoken Word und Synthpop. Der Widderschädel im Titel gibt zudem grob die inhaltliche Richtung vor. Und im beigelegten Downloadcode wartet eine Merkwürdigkeit.
Eigentlich ändert Corona für Kolb ja nichts: Seine Musik nimmt er ohnehin zu Hause allein auf, Gastbeiträge kommen übers Internet. So auch hier: Das Intro spricht Marc Domin, wie Kolb ein begeisterter Provokateur und somit in guter Gesellschaft. Bei „Herr Nolte ist ’ne Drecksau“ ist sein griechischer Freund Vintermørke dabei, wie er ein Ein-Mann-Black-Metal-Musiker, sofern er nicht bei Mountain Hermit aus Rom mitmischt. Somit ist es beinahe obsolet, bei der Erstellung eines Albums auf die Coronabedingungen hinzuweisen; der Titel „Covid Gang Bang“ spielt zumindest darauf an.
Provokant, natürlich, und damit in den Rahmen passend, in dem Folter, Autoaggression und Religionskritik („Tante Antikrista“) ihren Platz haben, einen vertrauten Platz in Kolbs Kunst, überdies. Eine musikalische Erweiterung erfährt Kolbs Kosmos auf diesem Mixtape unter anderem in „Gold (Die törichte Dosis)“, in dem orientalische Melodien erklingen. Ein Stück wie „Dynamit“ erinnert an die harscheren Industrial-Zeiten von Das Ich. Die reine Leere findet indes seltener Einzug in dieses Album, die 18 Stücke fesseln mit ihrer kurzweiligen Vielfalt – und Kolb mit seiner angenehmen Singstimme, wenn er nicht gerade zwischendurch herumschreit oder in irres Gelächter verfällt, ein Kontrast, mit dem er seine Stimmgewalt nur unterstreicht.
Kann man sich gar nicht vorstellen, dass das nur ein Album von unzählbar vielen sein soll, so ausgefeilt, wie die Stücke hier sind. Seit diesem Tape veröffentlichte er jedenfalls als Xchnum Miiimiiikry, The Berenice Soundproject oder Doc Xchnum mindestens fünf weitere Alben, ganz zu schweigen von seinem Projekt below.the.doll.cage, von dem man überhaupt erst erfährt, wenn man den Downloadcode des Mixtapes einlöst, denn dann erhält man nicht etwa den Widderschädel, sondern ein Album mit dem Titel „Failed Mystery Box Delivery. Please check the address: Jonathan ♍♥♥♥♥, Bismarckstrasse ✞✞, 38364 Sch★ningen, Lower Saxony, Germany”. Kann ein Versehen sein, natürlich, aber auch ein modernes virales Marketing, mit dem Kolb seine Follower verwirrt. Das kann er eben nicht nur in Bild und Ton, der Tausendsassa.