Von Guido Dörheide (31.07.2023)
Lucinda Williams war bereits Mitte 40, als sie 1998 mit „Car Wheels On A Gravel Road“ endlich den Ruhm bekam, den sie verdient, und seitdem hat sie nicht ein einziges schwaches Album veröffentlicht (vorher auch nicht, aber „Car Wheels…“ ist immer noch eins meiner Lieblingsalben aller Zeiten, das ich nahezu immer hören kann). Neben Patti Smith, Dolly Parton, Joni Mitchell und Emmylou Harris (die leider seit „Hard Bargain“ (2011) kein Soloalbum mehr veröffentlicht hat) & Young gehört sie für mich zu den allergrößten noch lebenden Songwriterinnen und Interpretinnen ihrer eigenen Stücke.
Zuletzt machte sie mit dem hervorragenden „Good Souls Better Angels“ (2020) und der Sammlung von sechs mit Band im Studio eingespielten Livealben unter dem Titel „Lu’s Jukebox“, deren Erlös zum Teil unabhängigen Veranstaltungsorten zugute kam, die durch die Corona-Pandemie um ihr Überleben kämpfen mussten, von sich reden. Die Alben enthalten Cover-Songs, immer jeweils zu einem bestimmten Thema oder von einem bestimmten Künstler (Tom Petty, Southern Soul, Bob Dylan, 60‘s Country Classics, Weihnachtslieder und die Rolling Stones).
Im November 2020 erlitt Williams einen Schlaganfall und musste infolgedessen das Gehen, das Singen und das Gitarrespielen neu lernen. Letzteres soll noch nicht wieder so funktionieren wie früher, aber bereits im Sommer 2021 war sie wieder zusammen mit Jason Isbell auf Tour.
Auf „Stories From A Rock N Roll Heart“ (so steht es tatsächlich auf dem Albumcover geschrieben) können sich die Hörenden davon überzeugen, dass Williams gesanglich und songschreiberisch nach wie vor, bzw. wieder, über jeden Zweifel erhaben ist. Ihr Gesang klingt sogar klarer als früher. Bis einschließlich „Lu’s Jukebox“ fand ich es immer charakteristisch für Williams’ Gesang, dass sie teilweise leicht lallend und vernuschelt klang. Das ist jetzt nur noch in Ansätzen zu hören, z.B. auf den ruhigen Balladen „Last Call For The Truth“ und „Where The Song Will Find Me“.
Das neue Album ist ein ganz hervorragendes Folk-/Countryrockalbum voll starker und mit Schmackes vorgetragener Songs geworden, die Williams zusammen mit Travis Stephens und ihrem Ehemann Tom Overby geschrieben hat. Die Gitarre lässt sie vorwiegend von Doug Pettibone und Stuart Mathis bedienen (mit zwischendurch immer wieder sehr schönem Steel-Guitarspiel, z.B. auf „Stolen Moments“) und beim Gesang bekommt Williams unter anderem Unterstützung von Patti Scialfa und ihrem angetrauten Ehemann Bruce Springsteen, Angel Olsen, Margo Price und Siobhan Maher-Kennedy.
Das Album beginnt mit „Let’s Get The Band Back Together“, einem soliden Rocksong mit schrengelnden Gitarren und Orgel, den Williams schön nölig und mit viel Hingabe singt.
„New York Comeback“ und „Rock N Roll Heart“ würden auch gut als reine Springsteen-Songs funktionieren (kein Wunder, schließlich hat der Mann auch schon Patti Smith gecovert, ohne dabei etwas falsch zu machen, ääh, umgekehrt, meine ich), zusammen mit Scialfa und Williams funktionieren sie perfekt. Ersteres ist ein Midtempo-Stück mit melancholischer Melodie, Zweiteres wieder ein orgellastiger Rocker mit beinahe schon klischeehaften, aber sehr schönen Gitarrensoli wie „Let’s Get The Band Back Together“.
Das zusammen mit Angel Olsen gesungene „Jukebox“ ist eine wunderschön traurige Ballade und die Stimmen der beiden Sängerinnen funktionieren super zusammen. Ähnlich verhält es sich bei „This Is Not My Town“ mit seinem bedrohlichen Unterton, hier bestreitet Williams den Gesang zusammen mit Margo Price, und auch das haut super hin, die Stimmen bilden einen schönen Kontrast. Mit „Hum’s Liquor“, dem schon besungenen „Where The Song Will Find Me“ und „Never Gonna Fade Away“ klingt das Album ruhig und wiederum melancholisch aus, unter den insgesamt 10 Songs findet sich keiner, der nach unten rausfällt oder hier nicht hingehört, und jawohl – es steht nicht zu befürchten, dass Lucinda Williams jemals irgendwie verblassen wird („I’m never gonna fade away“ – wieder mit singenden Gitarren und ordentlich Orgel).