Von Guido Dörheide (17.12.2024)
Lucinda Williams ist eine meiner apseluten Lieblingsfavoritinnen, sowohl musikalisch als auch stimmlich als auch gesangstechnisch. Und sie covert gerne – beispielsweise Tom Petty oder His Bobness. Oder Soul. Oder Country-Klassiker. Oder Weihnachtslieder. Und wenn man sich dann fragt, ob die Dame auch mal ab und an was Eigenes spielt und singt, höre man sich einfach „Car Wheels On A Gravel Road“ (1998) oder „Good Souls Better Angels“ (2020) oder ein beliebiges anderes des guten Dutzend mit selbst ausgedachten Material gefüllten Alben an und komme zu Recht zu dem Schluss, es mit einer der größten noch lebenden Songwriterinnen zu tun zu haben. Seit ihrem Schlaganfall im November 2020, der sie dazu zwang, das Laufen neu zu lernen, und der leider dazu führte, dass sie keine Gitarre mehr spielt, hat Lucinda Williams außer dem 2023er „Stories From A Rock’n’Roll Heart“ mit eigenen und eigens für sie geschriebenen Songs die Serie „Lu’s Jukebox“ aufgenommen und veröffentlicht, bei der jedes Album ein eigenes Thema hatte: Tom Petty, Southern Soul, Bob Dylan, 60er-Jahre-Country, Weihnachten, The Rolling Stones, und nun eben die Beatles.
Die Stones sind meines Erachtens leichter zu covern als die Beatles (sorry, Keef!), aber das ist jetzt nur meine Meinung, weil sie mehr im Rock’n’Roll verhaftet sind und ihre Songs nicht so extrem penibel ausgearbeitet haben, wie es John, Paul, George & Ringo (ohne Young, sorry, Matze!) gerade im zweiten Teil ihrer Karriere getan haben. Und genau auf den stürzt sich Frau Williams hier in der Hauptsache. Es ist also hier nicht leicht, in die akribisch ausgetüftelten Meisterwerke der vier Liverpooler Arbeiterklassejungs noch etwas Eigenes und Unverwechselbares hineinzutüdeln, aber Lucinda Williams hat es hingekriegt.
Erstmal hat sie sich quasi an den Ort der berühmtesten Straßenüberquerung aller Zeiten begeben: In die Abbey Road Studios, genau dort hat sie nämlich ihre zwölf Coverversionen über 50 Jahre nach dem Ende der Fab Four aufgenommen.
Über die Songauswahl kann man sich bei solch einem Beatles-Projekt immer trefflich streiten (was bedeutet eigentlich „trefflich“?) – auch ohne trefflichen Streit wird man es immer verkacken. „Wieso nicht ‚Revolution 9‘?“ „Und wieso ausgerechnet ‚Can‘t Buy Me Love’? Das ist das beschissenste Lied der Beatles, das ich kenne!“ Ja tolle Wurst: Persönliche Präferenzen sollen jetzt also darüber entscheiden, was welcher Künstler von welcher zu Unrecht oder auch zu Recht überbewerteten Band covert und wie sie/er es hingekriegt hat, oder was? Und war Phil Spector wirklich schlimmer als Honecker, oder hat sich die Künstlerin in ihrer Version von „Let It Be“ nicht genug von Spectors überbordendem Größenwahn distanziert, weil sie mehr als drei Instrumente eingesetzt hat? Fragen über Fragen und – wie meine Mutter sagen würde – „Schieten egohl“, entscheidend ist, was gefällt, entscheidend ist Abbey Road (sage ich mal als meine heutige Version von „Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ auf’m Platz“) und bei den Beatles kann man hinsichtlich der Songauswahl (außer vielleicht „Yesterday“ und „Revolution 9“) auch nicht viel falsch machen.
Lucinda Williams hingegen macht vieles richtig: Sie hat vorwiegend Songs aus der späteren, progressiven Beatles-Phase ausgewählt, mit Ausnahme von „Can’t Buy Me Love“, was ich unheimlich liebe. Sehr schön ist, dass George Harrison hier nicht unterbelichtet vom Platz gegangen wird, sondern „While My Guitar Gently Weeps“ und „Something“ Eingang in Williams’ Album gefunden haben, und sich unter anderem mit Doug Pettibone an der Pedal Steel auch weitere Künstler gefunden haben, die dafür sorgen, dass Harrisons Erbe in ganz hervorragender Art und Weise Tribut gezollt wird.
Bei Lennon und McCartney ist das nicht notwendig und Ringo spielt ohnehin in seiner ganz eigenen Liga (Hey – der Lieblings-Beatle von Marge Simpson, da kann wohl ganz im Ernst kein Schwein gegenanstinken), daher freue ich mich immer, eine der wunderschönen Harrison-Kompositionen in kompetenter Weise von anderen Künstler:innen vorgetragen zu kriegen.
Aber nun mal der Reihe nach: Das Album beginnt mit „Don’t Let Me Down“ von „Das blaue Album“, und damit beginnt es sehr gut. Musikalisch wird hier nicht der Back Catalogue der Beatles neu erfunden, und das ist auch gut so, denn umso mehr kann Lucinda Williams ihren typischen, leicht vernuschelt-gelallt klingenden Gesang ausspielen. Und ihre Band ist großartig und weiß, was sie tut.
So geht es auch auch mit „I’m Looking Through You“ (von „Rubber Soul“, 1965, also ein für dieses Album recht frühes Stück) weiter: Die Band jangled lässig vor sich hin, mit viel Akustikgitarre und Orgel, und Williams singt wunderschön. Mit „Can’t Buy Me Love“ (in der Tat eins meiner Lieblingsbeatlesstücke) aus dem Jahr 1964 (Album „A Hard Days Night“ bzw. „Das rote Album“) geht es krachig weiter, Williams’ Stimme harmoniert hier wunderbar mit den wunderbaren Harmonien von Lennon/McCartney.
Darauf folgt das psychedelisch angehauchte „Rain“, seinerzeit nur als Single-B-Seite zu „Paperback Writer“ erschienen. Lucinda Williams’ Gesang erinnert mich hier an viele ihrer eigenen Stücke, was deutlich macht: Williams und die Beatles, das passt. Schöner Background-Gesang auch, wie schön, dass so viele (alle?) Songs der Beatles auch nach über einem halben Jahrhundert noch so wunderbar funktionieren.
In ganz besonderem Maße gilt das auch für „While My Guitar Gently Weeps“: Klar waren Lennon und McCartney die herausragenden Songwriter und Sänger und klar war Ringo Starr der herausragende – wenn auch oft zu Unrecht belächelte und kleingeredete – Schlagzeuger und – hatte ich das schon erwähnt? – der Lieblings-Beatle von Marge Simpson, aber eine Band, die einen Leadgitarristen wie George Harrison in den eigenen Reihen hatte, erreichte dadurch eine ganz eigene Stufe der Unerreichbarkeit. Ehrlich, wer „While My Guitar Gently Weeps“ komplett durchhören kann, ohne am Ende vor Rührung weinend auf dem Boden zu liegen und sich in verzweifelten Luftgitarrensoli zu winden, der hat weder Herz noch annähernd Verstand für Musik. Und Lucinda und ihre Band setzen Harrison hier ein Denkmal, das seiner würdig ist, glauben Sie mir.
Anschließend dann die Gretchenfrage bezüglich aller Beatles-Songs: Wie hältst Du es mit „Let It Be?“ Team Spector oder Team Naked? Mein persönlicher Beatlesgretchensong ist eher „Hey Jude“, das ich als Kind toll und dann als Heranwachsender kitschig fand und das mich als Erwachsener, nachdem ich seinen Hintergrund kannte, zu Tränen rührte, aber Wurscht und Schwamm drüber, hier geht es um „Let It Be“, und Lucinda Williams und ihre Band machen weder Gefangene noch sich Feinde, indem sie den Song mit Akustikgitarre und Williams’ tollem Gesang einleiten. Später kommen noch Orgel, Bass und Schlagzeug hinzu, alles komplett unaufgeregt und dem Song mehr als würdig.
Danach betreten wir endlich den heiligen Gral der Beatles-Alben: „The Beatles“, besser bekannt als „The White Album“ (nicht zu verwechseln mit dem roten oder dem blauen Album): „Yer Blues“, geschrieben von John Lennon (den ich eigentlich gar nicht so sehr mag) während der TM-Auszeit (darüber lasse ich mich hier nicht aus, und genau wegen der immer noch andauernden Verherrlichung dieser auch von David Lynch in ekliger Art und Weise angepriesenen Scheiße habe ich immer noch so meine Probleme mit McCartney, egal wie sehr ich ihn verehre; Transzendentale Meditation ist verabscheuungswürdiger Sektenkram und ziemlich pervers), eigentlich als Blues-Parodie erdacht und hier sehr schön als ernstzunehmender Blues in Szene gesetzt. Nimm dies, John!
Danach dann „I’ve Got A Feeling“ vom 1970er Album „Let It Be“. Seehr schön relaxter Blues mit seehr schöner Orgel und tollem Gesang von Frau Williams. Inzwischen ist es mir egal, wer hier die Songs geschrieben hat, Lucinda und ihre Band setzen sie so toll um, dass es einfach nur Spaß macht, hier in das Werk der Beatles einzutauchen und sich – wie ich es jedem bisher nicht damit Bewanderten wärmstens ans Herz legen möchte – damit vertraut zu machen, denn Popmusik versteht sich besser auf der Grundlage eines grundlegenden Beatlesverständnisses.
Anschließend dann wieder Lennon vom Weißen Album: „I’m So Tired“ – ein absoluter Scheißsong von Lennon, auch wieder während der TM-Zeit in Indien geschrieben. Oh Mann, TM muss ja sowas von knorke sein, wenn es dermaßen zerrissene Meisterwerke des psychedelischen Singer-Songwritertums hervorbringt. Schwamm drüber – Lucindas Vortrag rettet den Song auf jeden Fall. Das Glück ist eine warme Glock oder wie auch immer.
Das wahre Glück stellt sich danach ein, auf „Something“ vom 1969er „Abbey Road“-Album: Ein typischer George-Harrison-Song, der seinerzeit auch von ihm selbst gesungen wurde, hier macht das stattdessen Lucinda Williams. Die Gitarre weint (unglaublich, wie Doug Pettibone und Marc Ford es hinkriegen, auf diesem Album wie Harrison zu klingen – wie Lennon oder McCartney zu klingen, ist dagegen einfach) und Williams klagt – ein sehr schöner Moment auf einem sehr schönen Album.
„With A Little Help From My Friends“ ist ein Selbstgänger: Die Gitarre erinnert an Joe Cockers karrierestiftenden Woodstockmoment und Williams singt passend dazu. Abgeschmackt, aber großartig.
Am Ende dann nochmal McCartney in all seinem McCartneytum: „The Long And Winding Road“ vom unsäglichen und unsagbar wunderbaren „Let It Be“-Album – Hammer, dass sich Paul diesen Kitsch nicht für spätere Wings-Großtaten aufgehoben hat, aber nochmal Schwamm drüber: Der Song ist Beatles-Kulturerbe und jedem bekannt, und Lucinda Williams und ihre Mitmusizierenden tun gut daran, sich hier nicht selbst zu verwirklichen, sondern nah am Original zu bleiben.
Mit „Sings The Beatles From Abbey Road“ gelingt Lucinda Williams der Spagat zwischen unnachahmlichen Großtaten der größten Band aller Zeiten und dem eigenen Gespür und Talent dafür, mit Coverversionen keine neuen Fahrräder zu erfinden, sondern gleichermaßen den Urhebern der Großtaten ein Denkmal zu setzen und die eigene Relevanz immer wieder aufs Neue zu untermauern.