Liegengeblieben! – Drei Alben

Von Chrisz Meier (05.12.2024)

Hallo. Ich bin Chrisz Meier und arbeite bei einem Bürgerradio in Südwest-Niedersachsen. Der Sender bekommt ständig Promo-CDs zugeschickt, die niemand verlangt hat und um die sich niemand kümmert. Diese CDs landen dann mitsamt ihrem Beipackzettel der Plattenfirma, auf der die jeweilige Band stets als die Neuerfinder der Musik gepriesen wird, in einer schmucklosen Ablage, beschriftet mit „Zum Mitnehmen“. Einige der bei dem Sender ehrenamtlich Tätigen, Betreiber ihrer eigenen Radioshows, bedienen sich daraus, vieles bleibt aber dennoch liegen. Diese Liegengebliebenen durchforste ich in unregelmäßigen Abständen, immer auf der Suche nach unentdeckten Perlen – nicht zuletzt deswegen, weil ich, selbst Teil einer Band, der keinerlei Beachtung entgegengebracht wird, es ungerecht finde, diese mit viel Herzblut und Geld hergestellte Musik einfach zu ignorieren.

Also werde ich an dieser Stelle hin und wieder ein paar dieser Liegengebliebenen vorstellen.

Den Anfang macht die australische Band Myriad Drone mit dem Album „Arka Morgana“ aus dem Jahr 2024. Hierbei scheint es sich um eine remasterte Wiederveröffentlichung zu handeln, denn das gleiche Album erschien 2019 schon einmal. Eingespielt in der Viererbesetzung mit zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug ist der eine Gitarrist (und mutmaßliche Mastermind) auch als Sänger gelistet, hält sich aber extrem zurück und benutzt seine (Background)-Vocals eher als zusätzliches Instrument. Was übrig bleibt, ist ziemlich schwerer Instrumentalrock, der es gerne dynamisch mag. Das heißt: Laut und leise wechseln sich einträchtig ab. Die acht Tracks werden von übereinandergeschichteten Gitarren dominiert und bleiben eher im getragenen Tempo. Repetitive Themen und Melodien, die zwar harmonisch, aber nicht unbedingt voraussagbar daherkommen, sind bei Myriad Drone scheinbar sehr beliebt, was dazu führt, daß man nie den Überblick über den jeweiligen Song verliert. Man kann das zwar auch unterkomplex nennen, dann lässt man aber außer Acht, daß man sich in den hervorragend produzierten Wällen of Sound sehr gut fallen lassen oder auch verkriechen kann. Einzig Track 4, „Please, Stand By“, fällt durch seine Kürze und den gesprochenen Text etwas aus der Reihe. Ansonsten sei „Arka Morgana“ allen empfohlen, die auf überlange Songs, melancholische Melodien, harte und weiche Gitarren sowie einen sehr mächtigen, sphärischen Sound stehen.

Myriad Drone: Arka Morgana
LP, CD, Digital
Bird’s Robe Records

Nochmal Australien, nochmal sowas wie Post Rock, nochmal instrumental, nochmal genau acht sehr lange Songs, dasselbe Plattenlabel… Was ist denn hier los? Ach so, es sind hier nur drei statt vier Menschen am musizieren. Und bei allen sonstigen Ähnlichkeiten: sleepmakeswaves sollte man nicht in einen Topf mit Myriad Drone werfen. Was diese Australier hier auf ihrem Album „It’s Here, But I Have No Names For It“ (2024) aus dem Beutel ihres Proberaum-Känguruhs zaubern, ist mehr Prog- als Post Rock. Prog allerdings, der nicht so nervt wie jener, dessen Instrumentalgewichse einem nach siebzig Sekunden jegliche Lust auf den Rest der Scheibe nimmt. Eher jener Progrock, der auch noch weiß, wie eine Melodie funktioniert und wie ein Song aufgebaut sein sollte, damit er zündet, und bei dem sich niemand in den Vordergrund spielt. Hier werden gerne auch mal die harten Gitarren aufgedreht, hier kracht der Bass aber richtig mächtig, hier ist vor allem der Schlagzeuger derjenige, der dem Kenner imponiert, den Laien aber dennoch headbangen lässt. Aber: Bei aller Wucht und Komplexität bleibt, und das ist wirklich schön, Luft für leisere Passagen, die sich dann – fast von alleine – mit Streichern und Bläsern (!) füllen, bis man es wieder so richtig laut besorgt bekommt. Oder aber es folgt ein Track, in dem so ziemlich gar nichts passiert bis auf ganz viele Keyboard- und E-Pianoklänge. Über zu wenig Abwechslung kann man sich bei sleepmakeswaves nicht beklagen. Wer kurze Kracher mit Gesang zum Glücklichsein braucht, ist bei dieser Band falsch. Wer aber mehr als zwei Akkorde fehlerfrei unterscheiden und sich über eine leicht vertrackte Rhythmik einschließlich Tempiwechsel freuen kann, wer vielleicht auch neugierig ist, wie es der über achtminütige Titeltrack schafft, ohne Gesang nicht langweilig zu werden, kann gerne mal bei dieser Band von der anderen Seite des Planeten reinhören.

sleepmakeswaves: It’s Here, But I Have No Names For It
LP, CD, Digital
Bird’s Robe Records

Warum die nächste Band unbeachtet im Sender liegenblieb, ist mir schleierhaft, schließlich werden 24/7 Diva Heaven für ihr zweites Album „Gift“ gerade so ziemlich überall abgefeiert. Da haben die etwas rückständigen Südwest-Niedersaxen wohl nicht aufgepasst. Um es kurz auf den Punkt zu bringen: Das hier ist Punkrock. Und damit das genaue Gegenteil zu den beiden bisher besprochenen Alben. Hier heißt es onetwothreefourGO!, was dazu führt, daß die drei Berlinerinnen um das ein oder andere Klischee nicht herumkommen, dies aber einerseits gekonnt bedienen und dies aber auch wieder durch etliche gute bis sehr gute Einfälle ausgleichen. Nein, den Punk erfinden die drei nicht neu, schaffen es aber über die gesamte Laufzeit, den Ich-will-wissen-was-im-nächsten-Song-passiert-Faktor hochzuhalten. Sängerin/Gitarristin Katharina Ott-Alavi kann schreien, kratzen, krakeelen – und singen. Wenn sie das tut und zusammen mit ihren Mitstreiterinnen das Tempo mal zurücknimmt, erinnern mich 24/7 Diva Heaven an Hole, sicherlich nicht die schlechteste Referenz. (Worüber hier in englisch gesungen wird, muß mal bitte in anderen Fachpublikationen recherchiert werden.) Aber egal, ob slow, midtempo oder schnell: Der Sound ist durchgängig roh, direkt und energisch, die Produktion lässt keine Wünsche offen. Einziger „Nachteil“, wenn man so will, ist die Eingängigkeit der Songs. Sie gehen schnell ins Ohr, gefallen, nutzen sich aber auch relativ schnell ab. Fazit: 24/7 Diva Heaven gefallen, zeigen, wie man es richtig macht, und werden schnell ein großes Publikum finden. Es sei ihnen gegönnt.

24/7 Diva Heaven: Gift
LP, CD, Digital
Noiseolution