Liegengeblieben!

Hallo. Ich bin Chrisz Meier und arbeite bei einem Bürgerradio in Südwest-Niedersachsen. Der Sender bekommt ständig Promo-CDs zugeschickt, die niemand verlangt hat und um die sich niemand kümmert. Diese CDs landen dann mitsamt ihrem Beipackzettel der Plattenfirma, auf der die jeweilige Band stets als die Neuerfinder der Musik gepriesen wird, in einer schmucklosen Ablage, beschriftet mit „Zum Mitnehmen“. Einige der bei dem Sender ehrenamtlich Tätigen, Betreiber ihrer eigenen Radioshows, bedienen sich daraus, vieles bleibt aber dennoch liegen. Diese Liegengebliebenen durchforste ich in unregelmäßigen Abständen, immer auf der Suche nach unentdeckten Perlen – nicht zuletzt deswegen, weil ich, selbst Teil einer Band, der keinerlei Beachtung entgegengebracht wird, es ungerecht finde, diese mit viel Herzblut und Zeit hergestellte Musik einfach zu ignorieren.

Also werde ich an dieser Stelle hin und wieder ein paar dieser Liegengebliebenen vorstellen.

Ein Trio aus Montreal, Kanada, macht heute den Opener. You Doo Right haben sich (vielleicht) nach einem 20-minütigen Song der deutschen Krautrocker Can benannt, und daß diese (vielleicht) auch musikalische Vorbilder der Nordamerikaner sind, kann man hören. Schon der erste der nur sechs Songs, „Spirit’s Heavy, But Not Overthrown“, hat ein zweieinhalbminütiges Vorspiel und einen fast elf Minuten langen Hauptakt. Und was mir letztens beim Instrumentaltrio Astral Kompakt gefehlt hat, haut hier hin: Es stimmt die Dramaturgie und hier passiert genug, um auf der langen Strecke die Spannung zu halten. Tja, und dann setzt nach knapp acht Minuten das erste und einzige Mal Gesang ein. Gekonnt! Damit keine Mißverständnisse entstehen: You Doo Right machen keinen Krautrock! Eher sowas wie Experimental-Rock, auch Freunde der lauten Stromgitarre werden hier sehr gut bedient. Dazwischen immer mal wieder recht lange leise Passagen, in denen nicht wirklich viel passiert – außer Spannungsaufbau. Die drei in klassischer Besetzung Git, Bs, Dr sind keine Über-Instrumentalisten, aber wie überlange Lieder aufgebaut werden müssen, damit sie funktionieren, das zeigen sie hier sehr vorbildlich. Absolutes Highlight auf dieser abwechslungsreichen Scheibe ist „Ponders End“; das sollten sich alle Headbanger mal durch den Kopp gehen lassen. „From The Heights Of Our Pastureland“ sei empfohlen für alle Leute, die Zeit und einen Kopfhörer haben und die menschliche Stimmen in Musik nicht vermissen, wenn sie nicht da sind.

You Doo Right: From The Heights Of Our Pastureland
LP, Digital
Mothland (2024)

Ein ganz eigenes Genre haben die Schweizer Gentle Beast aufgemacht: Comedy-Stoner. Ihr zweites Album nennen sie „Vampire Witch Reptilian Super Soldier – From Outer Space“. In ihren Texten treten Weltraumreisende, Hexen, Mammuts, rachsüchtige Büffel und die „Vodoo Hodoo Space Machine“ auf. Die fünf Eidgenossen wissen also, was ein Klischee ist. Das trifft auch auf große Teile der Musik zu. Erfahrene Stonerfreunde werden hier nicht mehr viel Neues erfahren, eher einige alte Bekannte wiedertreffen. Für Neueinsteiger könnte diese Scheibe möglicherweise interessanter sein, denn hier lernen sie erstmal einige Eigen- und Besonderheiten des Stoner kennen. Auch unter Substanzeinfluß könnte dieses Album funktionieren, denn bei einigen ruhigen Passagen kommt das umnebelte Hirn wieder zur Ruhe und kann sich auf die nächste Lautstärkeattacke freuen. Der Sound und die Produktion sind absolut zufriedenstellend und so liefern Gentle Beast kein wirklich schlechtes Album ab. Mir persönlich ist das ein wenig zu viel Klischee aber, wie gesagt, Genreneulingen sei dies zum Einstieg empfohlen.

Gentle Beast: Vampire Witch Reptilian Super Soldier – From Outer Space
LP, Digital
Sixteentimes Music (2025)

Das erste, das auf „Ta Det Lugnt“ des schwedischen Quartetts Dungen auffällt, ist der warme, ungedämmte 60er-Jahre-Schlagzeugsound, denn damit fängt das Album an, mit einem kurzen Schlagzeug-Intro. Danach folgen 13 Tracks, die stark an Psychedelic/Progressive-Rock der 60er und 70er erinnern. Auch Folkelemente klingen an. Dazu wird fast durchgehend mehrstimmig gesungen – auf schwedisch. Das ist eigentlich auch der einzige Schwachpunkt des Albums, denn auf Dauer klingt der Gesang eierig, d.h., er eiert so vor sich hin und das ist ein bißchen nervig auf voller Länge. In kleinen Portionen ist das Ganze durchaus angenehm, langweilig wird die Musik nicht und zum Glück gibt es auch ausführliche Instrumentalpassagen. Die vier von Dungen haben die Schallplattenvorräte ihrer Väter scheinbar ausführlich studiert, um sich dann herauszupicken, was am Besten funktioniert im Psych/Prog-Kosmos. Dann sind sie ins Studio und haben auf den Instrumenten ihrer Väter (inklusive einiger Exoten wie Saxophon, Querflöte oder Mellotron) ihre Songs auf einer schönen 16-Spur Bandmaschine aufgenommen. Zusammengefasst: Vier Schweden spielen im Jahr 2004 Musik, die 30 bis 40 Jahre alt klingt und heute selbst schon 20 Jahre alt ist. Richtig, zu viele Zahlen, sorry. Wer auf einen Trip gehen möchte, dem sei „Ta Det Lugnt“ wärmstens empfohlen, schließlich bedeutet der Albumtitel soviel wie „entspann dich, relax, take it easy“. Na also.

Dungen: Ta det lugnt
CD, LP, Digital
Subliminal Sounds (2004)

Und noch eine Band, die sich am 60s/70s-Sound versucht, diesmal mit spanischen Wurzeln: Die Electric Riders mit „Music For A Family Gathering“. Anders als ihre schwedischen Kollegen von Dungen gehen die vier Spanier hier deutlich forscher und straighter zu Werk, es klingt etwas mehr nach Garage und weniger nach Folk. Aber verspielter können die Herren auch, was für eine ordentliche Bandbreite auf der Scheibe führt. Trotzdem muß ich hier mal was bemerken, was ich als Bassist niemals sagen dürfte. Der Bassist der Electric Riders ist mir deutlich zu überambitioniert. Aber gut, warum soll er nicht auch mal zeigen, was er so alles gelernt hat. Auch die Länge der Songs führt hier und da zu Ermüdungserscheinungen beim Durchhören. Aber geschenkt, das sind alles Luxusprobleme. Den einen oder anderen Song der vier aus Pamplona könnte ich mir gut auf einem Mixtape unter dem Motto „Schweinerock“ vorstellen, dafür gibt es genug ausufernde Gitarrensoli auf „Music For A Family Gathering“.

Electric Riders: Music For A Family Gathering
LP, CD, Digital
Nasoni Records (2007)