Von Matthias Bosenick (16.03.2018)
In ein so absurdes wie gefährliches Land wie Nordkorea 2015 als erste westliche Musikgruppe das slowenische Künstlerkollektiv Laibach zu entsenden, und das ausgerechnet am Tag der Befreiung des Landes von der Japanischen Besetzung – treffender kann Totalitarismus nicht gespiegelt werden. Das Grandiose an dieser vortrefflichen Dokumentation dieses Unternehmens ist, dass sich hier beide Seiten spiegeln und Erkenntnisse gewinnen. Das Fingerspitzengefühl des Westteams unterstreicht einmal mehr, dass es sich bei Laibach mitnichten um eine Kaspertruppe handelt. Demnächst also in Teheran.
Ein norwegischer und ein lettischer Regisseur, Morten Traavik und Ugis Olte, entwickeln aus der spinnerten Idee, Laibach in Nordkorea auftreten zu lassen, die Grundlage für diesen Film, der weit mehr ist als nur die Dokumentation einer Reise von selbst im Westen als Freaks geltenden Künstlern in einen Unrechtsstaat. Verdreht genug, dass die im ebenso wie Nordkorea totalitären und sozialistischen Jugoslawien gegründeten Laibach aus nordkoreanischer Sicht als westlich gelten.
Das Ergebnis überrascht: Alles an diesem Film ist gut. Die Menschen sind als solche dargestellt, niemand wird vorgeführt, die Filmemacher gehen respektvoll vor. Die Balance zwischen Anpassung an die permanent eingreifende, beklemmende und zermürbende Zensur und der künstlerischen Eigenständigkeit stimmt. Humor liegt der Sache zwar zwangsläufig inne, doch ist der nicht plump gegen andere gerichtet, sondern auch gegen sich selbst. Der Film hat eine Struktur, die das nervenzehrende Warten mit Informationen anreichert. Die Bilder sind nicht nur dokumentarisch, sondern oftmals auch schön.
Über Nordkorea kann man als aufgeklärter Westler gleichzeitig lachen und sich erschrecken: Die von einem selbstverliebten Riesenbaby angeführte Atommacht, die das eigene Volk einsperrt und damit weltfremd macht und dem Rest der Welt den Krieg erklärt. Natürlich ist es ein Aufeinandertreffen sich gegenseitig nicht verstehender Welten, doch geben die Filmemacher die Nordkoreaner nicht der Lächerlichkeit preis, trotz aller Seltsamkeiten, mit denen sie konfrontiert werden. Im Gegenteil, mit welcher Behutsamkeit, mit welchem Respekt und Fingerspitzengefühl Regisseure und Künstler dem Wahnsinn begegnen, ist vorbildlich für ein grundsätzliches menschliches Miteinander. Sicherlich wissen die Westler, dass es lebensbedrohliche Konsequenzen hätte, sich querzustellen; daraus resultiert sicherlich ein großer Anteil an der gezeigten Vorsicht. Das Team entwickelt aber auch Respekt für die Umstände und das Wissen, dass die Menschen, denen sie im Zuge ihrer Arbeit an der Bühnenshow begegnen, eben Menschen sind und sich auf eine Art und Weise verhalten, zu der sie schlichtweg keine Alternative kennen. Die Europäer reflektieren dies analytisch und ohne Spott, damit wirken ihre Ansichten auch als Lehrbuch für den Zuschauer.
Gleichzeitig führen Laibach den Westen vor, der der Band – wie weiland jedem, der in der DDR auftrat – vorwirft, mit diesem Auftritt das totalitäre Regime zu unterstützen. Ivan Novak, der Chefdenker von Laibach, kontert entwaffnend: Wenn man in totalitären Regimes grundsätzlich nicht auftreten wolle, fiele es schwer, überhaupt eine Grenze zu ziehen. Das sitzt. Rhetorisch ebenso geschickt gehen Laibach und die Filmer mit den Anforderungen des Koreanischen Regimes um: Wenn Nordkorea die Info, dass es sich bei Laibach um Nazis handele, aus Westmedien habe, die auch über Nordkorea sagen, es sei ein totalitäres Regime, was Nordkorea bestreitet, dann befänden sich doch Land und Band auf der selben missverstandenen Seite und sollten sich solidarisieren. Punktsieg, die immerzu vom Verbot bedrohten Planungen gehen voran.
Nicht nur aus solchen Situationen resultiert Humor. Es ist lustig, wenn der Strom für die gesamte Show aus einem schlecht isolierten Zugang im Nassraum kommen soll, gewiss – doch entlarvt die latent ignorante nordkoreanische Herangehensweise an westlichen Kulturimperialismus und Rockstartum genau solche Untiefen, die man aus Gewohnheit nicht mehr wahrnimmt. Die Lacher liegen auf beiden Seiten, ein Pluspunkt ist, dass das Filmteam genau dies zu zeigen zulässt und sich selbst nicht schont. Ebenfalls damit nicht, Zensur zuzulassen: Damit wirft der Film die Diskussion auf, ob ein Einknicken innerhalb dieses Regimes trotzdem noch Rebellion ist, weil die Band ja nur mit Kompromissbereitschaft überhaupt dort auftreten und ihre Botschaft vermitteln kann, oder Unterwerfung.
Respekt beweist der Film auch, als er beim Eröffnungsstück des Konzertes die Gesichter des nordkoreanischen Publikums zeigt, das verschreckt und abwehrend, später vereinzelt kopfnickend und mit frischem Zugang auf den Kulturschock reagiert. Niemand wird hier vorgeführt, solche Reaktionen sind natürlich – und fallen beim durchschnittlichen Formatradiohörer sicherlich nicht anders aus, der erstmals mit Laibach konfrontiert wird. Das zeigen die Zwischensequenzen, die dem Uneingeweihten anhand von TV-Shows und Archivmaterial Kern, Wesen und Wirkung von Laibach nahebringen. Wer seit Ende der Achtziger in der Gothic- und EBM-Szene unterwegs ist, ist damit bestens vertraut, und auch damit, dass das vermeintliche Nazigebaren zu dem Konzept gehört, dem bösartig Totalitären mit einer Überhöhung desselben einen Spiegel vorzuhalten. Die Grundhaltung der Band ist zweifellos links. Auf die deutschsprachige Marsch-Version des Queen-Hits „One Vision“ als „Geburt einer Nation“ reagiert ein US-Amerikaner genau so verstört wie ein Nordkoreaner auf die Neufassung koreanischer Pophits durch die Slowenen. Der Film zeigt also, dass man den Menschen, die in diesem Land leben, nicht vorwerfen kann, wie sie sind, sondern sich ihnen mit aller Vorsicht nähern muss, wenn man sie erreichen will, und das tun die Verantwortlichen hier vorbildlich.
Ein geschickter Schachzug ist es sicherlich, nordkoreanische Künstler und Lieder ins Programm zu integrieren. Zudem offenbaren der nur mit einem Lied angedeutete Auftritt und die Proben, welches musikalische Können den Slowenen gegeben ist. Ihr Können werfen auch die Regisseure in den Ring, etwa, wenn sie ebenjene Proben mit ästhetischen Impressionen aus der Auftrittshalle untermalen, die schlafende Koreaner, anonyme Beobachter hinter Glasscheiben oder herumfriemelnde Europäer zeigen.
Stärkster Charakter in diesem Ensemble ist nicht wie erwartet das optische Aushängeschild Laibachs, Milan Fras, sondern Regisseur Morten Traavik, der schon intensive Erfahrungen in Nordkorea gemacht hat und das Team energisch zur Umsicht anhält. Eben mit seiner Erfahrung gelingt es ihm auch, die anonymen Zensoren zur Räson zu bringen, indem er sich ihrer Argumentation befleißigt: Indirekte Anweisungen ohne den persönlichen Kontakt seien unhöflich, lässt er den Übersetzer wissen. Wieder ein Pluspunkt, und im Grunde mit der Methodik von Laibach. In einem Phantomias-Comic (Lustige Taschenbücher, Nummer 75) hieß es bezeichnend: „Wenn du deine Feinde nicht besiegen kannst, verbünde dich mit ihnen. Du musst mit den Wölfen heulen, nur lauter.“ Mit dieser Haltung gelingt Laibach mehr Entlarvung als mit dem Postulieren einer Gegenansicht. Und mit dieser Haltung entwaffnet auch der Regisseur die Staatsmacht.
Was angesichts der bisweilen überdreht-bunten Herangehensweise Laibachs an faschistoide Themen wie der Versuch anmutet, mit Filmteam in Nordkorea herumzublödeln, entpuppt sich als erwachsener Zugang zu einem fremden System und der Film letztlich als eine Art Kulturbotschafter für das abgeschottete Land. Ein ganz bestimmter Umstand macht diesen Film bemerkenswert: Er nimmt überall den Menschen wahr und behandelt jeden Gegenüber wie einen solchen. Das ist wohl die größte Botschaft gegen Totalitarismus.