Von Matthias Bosenick (09.09.2024)
Der Mann ist nicht nur in Dänemark bekannt für Jazz, Avantgarde, Noise und andere experimentelle Rockformate und betitelt nun sein zweites Solo-Album „Folklórica“, das verwirrt. Umso mehr, als dass es gleichsam zutrifft und dennoch ins genannte Schema passt. Für dieses Album arbeitet Lars Bech Pilgaard mit diversen Gitarren und einem Banjo, jeweils verfremdet oder mit dem Bogen gespielt, sodass diese vertrauten Instrumente zumeist gar nicht nach sich selbst, aber nach vielen anderen klingen, Geigen, Orgeln oder indigenen Instrumente etwa. Von Songstrukturen oder eingängigen Melodien ist in dieser kargen Musik keine Spur, da dringt das Experimentelle nach vorn, stattdessen hört man Soundscapes, Drones, akustische Figuren, möglicherweise Gefühle. Ja, man fühlt, die Instrumente im Raum, den Musiker neben sich, wie er einem mit seinen Werkzeugen sein Inneres offenbart oder auch mal etwas herumspinnt, und man hört ihm gern zu.
Sein Album unterteilt Bech Pilgaard in vier Abschnitte: Bowed Guitar (Seite A), Prepared Guitar und Banjo (Seite B) sowie Electric Guitar (Seiten C und D). Im ersten Viertel bleibt Beck Pilgaard reduziert, entlockt der Gitarre mit dem Bogen cellistische Sounds, konstruiert verlorene Welten, in denen man sich als Hörender alsbald selbst verliert. Eine Ahnung von nordischer Folklore schwingt mit, aber nicht konkret ausformuliert, sondern lediglich an der Erinnerung der Rezipienten rüttelnd. Aber Folklore gibt’s ja nicht nur da, wo man herkommt.
Die B-Seite beginnt der Däne mit nervösem Gefrickel auf einer nicht als solcher erkennbaren präparierten Akustikgitarre, der erste Track heißt nicht von ungefähr „Dancers“, auch wenn es Clubgängern schwerfallen dürfte, dazu abzuhotten. Das Instrument klingt hier wie ein präpariertes Klavier, die Sounds wie aus dem südamerikanischen Urwald. Im Verlauf der Seite nimmt er die Intensität seiner Anschläge wieder zurück und wird spanisch. In „Ancestralism“ erklingt dann das böse Banjo, nur setzt er es anders ein, schwermütig, vom Leben gezeichnet, deformiert. Der letzte Track „11°11‘N 4°17‘W“ entführt die Hörenden sogar nach Burkina Faso, in die Stadt Bobo-Dioulasso, auf den Boulevard Félix Houphouët-Boigny, das Instrument klingt nun perkussiv und die Sounds sind polyrhythmisch angeordnet.
Die zweite Platte nehmen nur zwei Stücke ein, jeweils erzeugt mit präparierter und elektrischer Gitarre. Ein Drone wie aus einer unkontrolliert von einem Besoffenen auf der Tastatur einschlafenden gespielten Orgel startet die C-Seite, erst mit der Zeit kommt er zur Besinnung, nicht jedoch zur Besinnlichkeit. Die Sounds variieren sehr langsam die Tonhöhen, pulsieren leicht, überlagern sich, bilden Interferenzen, gemahnen an eine um 600 Jahre beschleunigte Variante von „Organ²/ASLSP“, dem John-Cage-Orgel-Projekt in Halberstadt. Eh man sich versieht, sind zwölf Minuten um. Zum Abschluss bedient Bech Pilgaard zehn Minuten lang Drone-Fans nach Art des Neil Young à la „Le Noise“ mit eingestreuten Melodiefragmenten in einem Track, der in ein munteres Gegniedel mündet. Die Distanz zum Folk ist hier am größten und die zum Jazz am geringsten.
Laut Info ist „Folklórica“ quasi der Soundtrack zu einer Doku, denn Filmemacher Mathias Winther Kjeldsen begleitete Bech Pilgaard bei den Aufnahmen, die offenbar in der Natur stattfanden; bedauerlich, dass der Doppel-LP keine DVD beiliegt und man den Film auch sonst nicht so einfach zu sehen bekommt. In Dänemark machte sich der Gitarrist Bech Pilgaard längst im Jazz-Noise-Avantgarde-Rock einen Namen mit Projekten wie Slowburn, Svine oder Klimaforandringer sowie als Teil der Begleitband des Singer-Songwriters Bisse. „Folklórika“ ist sein zweites Solo-Album nach „I Want You To Be Around Me“ 2014.