La Muerte – Headhunter – COP International 2022

Von Matthias Bosenick (10.08.2022)

Was ist der Remix einer Coverversion? Und dann noch: das Industrial-Rock-Cover eines EBM-Klassikers, das die Remixer wieder zurück ins Elektronische mixen? Hätten sie da nicht gleich das 1988er-Original remixen können? Vielleicht ja auch nicht dürfen – wer weiß? La Muerte, brachiales belgisches Underground-Rock-Urgestein, brachten 2017 zum Record Store Day ihre Version des Front-242-Floorfillers „Headhunter“ auf blutrotem Vinyl heraus – und jetzt neu als Quasi-Album mit eigenen Bonustracks und eben Remixen sowie mit nur einer Auslassung zur Tracklist der Original-12“. So heavy angerockt überzeugt der Hit sehr, kann man bringen, und auch die Eigenkompositionen von La Muerte machen neugierig auf den Rest des seit fast 30 Jahren angehäuften Opus‘. Remixe von Headhunter indes gibt es bereits unzählige, das nutzt sich etwas ab, wenngleich die Vorlage dieses Mal für andere Basissounds und unerwartete Ergebnisse sorgt. Front 242 selbst sind übrigens partiell und anteilig ebenfalls beteiligt.

Die Struktur des Originals bleibt weitgehend erhalten, inklusive Gesangperformance und eingestreuten Shouts. Bei Lichte betrachtet muss man zugeben, dass bei Front 242 ausgerechnet mit „Headhunter“ eines ihrer langweiligsten Stücke zum Gassenhauer avancierte. Können sie ja nix für, aber die Brüsseler sind abseits davon um Längen besser als das. Gemächlicher Beat, ziemlich stumpf auf Dauer, und bis auf die vier ständig wiederholten Zeilen aus dem Refrain keine nennenswerten Höhepunkte, die sich wiederum aufgrund der unendlichen Wiederholung ebenfalls abnutzen. Und trotzdem kommt man an diesem Track nicht vorbei. Wenn nun also La Muerte diesen Brocken mit Gitarre, Bass und Schlagzeug nachspielen, tief verzerrt, heavy angerauht, rifflastig, elektronisch brutal unterfüttert, dann funktioniert „Headhunter“ plötzlich wieder neu. Ein anderer Kontext, ein anderes Kleid, „Headhunter“ ist so für sich betrachtet ein geiler, oldschooliger US-Industrial-Smasher geworden. Und das, obwohl Richard 23 und Patrick Codenys von Front 242 an dieser Bearbeitung sogar beteiligt sind – so weit ist deren Horizont, mögen manche EBM-Puristen nicht wahrhaben wollen.

Die Remixer behandeln „Headhunter“ unterschiedlich: Der englische Produzent John Fryer (This Mortal Coil) betont das elektronische Original und macht La Muertes Vorlage technoid (diese partytaugliche Version hätte auch 1998 auf „Headhunter 2000“ erschienen sein können), die Belgier Sick Jones nehmen partiell das Tempo raus und betonen gleichzeitig die Doublebass und die Aggression im Gesang, das internationale und mit über 40 Musikern besetzte Indie-Industrial-Punk-Projekt The Joy Thieves (erinnert an Pigface, nicht?) betont ganz überraschend den dreivierteltaktigen Glam-Faktor des Stücks und das ebenfalls seit den Achtzigern aktive belgische EBM-Duo The Weathermen, deren Jean-Marc Lederman unlängst mit Front-242-Sänger Jean-Luc de Meyer das Album „Eleven Grinding Songs“ herausbrachte, nehmen den Beat des Originals komplett heraus und machen daraus einen aggressiven Ambient-Track, den sie langsam beschleunigen und auf dem vermeintlichen Höhepunkt einfach ausbremsen.

Die Eigenkompositionen von La Muerte sind härter, als es der Zeitgeist erlaubt. Dabei moshen sie nicht einfach vor plump sich hin, sondern kreieren räudige, rauhe und brutale Songs mit unerwarteten Breaks und dem Zeug zum gebrochenen Nacken; „Whack This Guy“ etwa hat ordentlich Speed, Most und Punkrock. Und wenn dann plötzlich Richard 23 und Patrick Codenys einen solchen Track remixen und man mit dem Wissen um die musikalische Entwicklung der Jungs elektronische Glitch-Sounds im Stile von „P.U.L.S.E.“ erwartet – und man dann einen Siebenminüter mit schleppendem Beat, auf Industrial gebürsteten Sounds und einer Stimme wie in „Why Can The Bodies Fly“ von Warning bekommt, dann möchte man alle auslachen, die sich ein neues Album von Front 242 wünschen: Ihr würdet es nicht mögen, weil es nicht so klingt wie „Headhunter“. Sondern eigenständig, nach vorn blickend, weiterentwickelt, losgelöst von Erwartungen. Fachleute wissen natürlich, dass dieser Track nicht zufällig an „Free Tyson Free“ von Holy Gang erinnert – daran waren damals, 1994, Richard 23 und Marc Desmare beteiligt, und letzterer ist Musiker bei La Muerte. Ja, im Grunde wäre angesichts der jüngeren Nebenbetätigungen der vier Mitglieder ein neues Front-242-Album spannend, aber gewiss nicht für die Massen.

Von der 2017er-Vinyl-Version fehlt hier „Kustom Kar Kompetition“ im Scarabée-Remix (wer auch immer Scarabée ist; dessen „Ecoute cette prière“-Version ist zumindest extrem EU-industriallastig), die anderen vier plus das unbearbeitete Cover sind enthalten, dazu acht weitere Tracks, teilweise Studiosongs von La Muerte, teilweise Remixe des Titelstücks oder anderer La-Muerte-Songs, unter anderem von JP Everaerts von Mussolini Headkick; die „Get Whipped“-Bearbeitung der Front-242-Tüftler war damals Teil des Download-Bonus‘ der 12“. Hört man hier überdies die eigenen Tracks, zum Teil bereits bekannt vom 2018er-Album „La Muerte“, muss man anerkennen, wie viel Kraft in diesen alten Herren noch steckt. Respekt! Aber das kann natürlich auch daran liegen, dass sich das Lineup der Band nach dem Split 1994 und der Reuinon 2015 einmal runderneuerte. Wie auch immer: Catch the man!