Von Matthias Bosenick (01.11.2022)
Das ist ja das Geile: Man kann eine als E-Musik beinahe verschriene Musikrichtung auch mit Humor angehen, und nicht nur das, man kann dies auch vornehmen, ohne den Ernst zu verlieren – auf das Maß und die Mischung kommt es an. Kuhn Fu nehmen ihre Musik ausgesprochen ernst, man hat es mit einem ausgezeichnet ausgebildeten Sex- bis Septett zu tun, das seine Geradlinigkeit gern mit Freiheit begleitet, Freiheit darin, die Instrumente nicht partiturkonform zu spielen, die Instrumente quäken zu lassen, den Jazz mit allerlei artfremden Genres zu bereichern, sich ein eher atypisches Thema auszusuchen: Kurioserweise befasst sich „Jazz Is Expensive“, die Studio-Seite dieses Doppel-Albums, mit Grimms Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“. Als Begleiter erscheint der Mitschnitt „Live In Saalfelden“, und der Anlass für dieses Paket ist der zehnte Geburtstag von Kuhn Fu. Ja: Man hat Spaß an dieser todernsten Musik!
Der Fischer ist hier ein French Horn Player, und zwar genauer sogar ein Jazz French Horn Player, ganz fies! Jener Marcel de Champignon ist auf der Suche nach der perfekten Melodie, um mit ihr Millionen zu verdienen (Währung unspezifisch), und ein Fisch namens Bruno The Architect soll ihm diesen Wunsch erfüllen – mit einem dramatischen Ende natürlich. Diverse Motive aus Grimms Märchen bleiben erhalten, etwa der freigelassene sprechende Fisch, der sich zum Wunscherfüllen bereiterklärt. Diese Fabel ersann Bandkopf Christian Kühn – für den Bandnamen verzichtete er auf seinen Umlaut –, der sich für die Rezitation seiner auf Englisch gesprochenen Mär einen ausgeprägten deutschen Akzept aneignete, auf den Klaus Meine neidisch sein kann. Der Akzent tut zwar in den Ohren weh, aber immerhin fällt es so leicht, der Geschichte zu folgen.
Kombiniert mit der Musik und den eingestreuten Texten ergibt „Jazz Is Expensive“ eine Art Hörbuch, das man indes bestens als Musikalbum genießen kann. Das erinnert, insbesondere mit der Fischthematik, an die Zwischenspiele auf dem selbstbetitelten Debüt von Three Fish. Nichts von allem übertreibt die Band, weder die Texteinwürfe noch das Atonale, und doch stellt beides das Besondere dar. Denn obwohl Kuhn Fu dazu in der Lage und auch bereit sind, wunderschöne Melodien, fette Songs und virtuose Stücke zu spielen, verdeutlichen sie den Hörenden fortwährend, wozu die Band noch fähig ist, nämlich, die selbst kreierte Schönheit zu zerstören, mit Tröt, Quäk und sonstigen Atonalitäten, dezidiert genug, um aufzufallen und dennoch nicht zu nerven, sondern genau so, dass sie als perfekt gesetzte Absicht erscheinen. Hier gehen Kunst und Verspieltheit, Rock’n’Roll und Free Jazz also Hand an Hand in Hand in Hand.
Ja, Rock’n’Roll, oder das, was sich ein Jazz-Projekt darunter vorstellt: Zwar nur eine untergeordnete Rolle, aber dennoch überhaupt eine spielt etwa der Progrock, abgeguckt bei Frank Zappa und den Seinen, also freaky, nicht opulent. Unter diese jazzdominierte Gemengelage mischen Kuhn Fu allerlei weitere Genres, die teilweise nur dezidiert und wie eine kleine logische Ausbuchtung in den Stücken erscheinen, darunter das Volumen von Bigbands und Brass Bands, und auch Surf, Lounge, Klezmer, Blues, Reggae; man erinnert sich mal an die Jazzproghelden Magma, mal an die Experimentierfreude von Les Claypool, mal an die eruptiven Blasinstrumente von The Thing und beim grandiosen bassigen Saxophon auch mal an die Horns Of Dilemma. Diese Saxophone entwickeln bisweilen ein tierisches Eigenleben: Mal grunzen sie wie Hausschweine, mal schnattern sie wie Gänse, dabei geht es hier um Fische. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt übrigens die Webseite ilsebill.com, die direkt auf das Bandcamp-Profil von Kuhn Fu führt. Übrigens nicht enthalten ist die Vorab-Single „Tantalos“: Die passte nicht ins Konzept und ist separat zu genießen.
Auf „Jazz Is Expensive“ besteht Kuhn Fu aus folgenden Musikern: Bandchef Christian Kühn spricht und spielt Gitarre, Tobias Delius Klarinette und Tenorsaxophon, John Dikeman ebenfalls Tenorsaxophon, Ziv Taubenfeld Bassklarinette, Sofia Salvo Baritonsaxophon, Esat Ekincioğlu Bass und George Hadow Schlagzeug. Auf der Liveplatte sind Kuhn Fu lediglich zu sechst, und zwar ohne Sofia Salvo. Live spielt die Bahn ihre auch im Studio präsenten Qualitäten aus, also ebenfalls wundervolle, warmherzige, dynamische, manchmal schwere Stücke durchsetzt mit kunstvollem Lärm, der Humor hier ebenfalls mit der experimentellen Musik ausgespielt, bisweilen mit spleenigen Erzählungen, etwa von Harry, dem Hamster. Mit schnitt der ORF dieses Konzert mit fast ausschließlich neuen Kompositionen in Saalfelden am Steinernen Meer, ein Ortsname, der kaum besser zu Kuhn Fu passen könnte. Das Doppelalbum ist ein Fest, nicht nur zum Geburtstag: Auf die nächsten zehn Jahre, ihr sechs bis sieben!