Von Matthias Bosenick (25.03.2019)
Ist Musik nicht eindeutig in eine Schublade packbar, fallen als erstes Begriffe wie Jazz oder Progressiv, wenn nicht Avantgarde. Auf Kuhn Fu trifft alles davon zu: Ihre bassklarinettendominierte Fusion verleiht der Rockmusik auf dem vierten Album „Chain The Snake“ unerwartete Winkel und nimmt ihr herkömmliche Popsongstrukturen. Einige Analogien liegen nahe, von Zappa bis Mr. Bungle. Wie oft bei solch abstrakter Komposition bestaunt das Gehirn das Handwerk und zuckt die Seele mit den Schultern. Zunächst: Kuhn Fu – nicht nach Paul benannt – legen Wärme in ihre Musik, darin fühlt sich alsbald auch die Seele wohl.
Komplexe Musik mit Haken, die sie schlägt, ist oft schwer greifbar; Track-Indizes hält man beim ersten Lauf für so willkürlich wie manche Komposition. Nur Geduld, die sieben Stücke auf „Chain The Snake“ haben erkennbar unterschiedliche Stimmungen, innerhalb derer sie die Grenzen derselben ausloten. Und da dringt dann das Gefühl in die Kopfmusik: Legt die Band mit einer Idee vor, fühlen die Musiker, wie diese Idee sich entwickeln könnte, spüren den Nuancen nach, lassen Metamorphosen zu und tragen die Idee durch diverse Zustände. Was passt, kommt rein, und sei es für wenige Sekunden ein Didgeridoo, das eben genau dort zu der dunklen Sequenz passt. Dabei scheuen es die vier Musiker nicht, Ausflüge in Punk, Funk, Easy Listening, Trinklied und unzählbar viele weitere Richtungen zu nehmen. Und es passt. Und obgleich der Musik vornehmlich etwas Dunkles zugrundeliegt, wird man mindestens aufgrund der Variabilität, der Einfallsreichtums und der Spielfreude nicht umhin kommen, der Band irgendeine Art von Humor zu attestieren.
Alsbald, nach mehrmaligem Hören, verliert sich der Anschein von improvisierter Willkürlichkeit und man folgt der Narration des Albums. „Marco Messy Millionaire“ startet noch wild wie ein junges Fohlen auf der Weide, zur Mitte zieht „Oswaldo‘s Waltz“ die Stimmung in düsterste Gruften, schon „Gustav Grinch“ groovt wieder wie Sau und der Rauswerfer „Wolf‘s Muckenkogel“ erinnert an ein russisches Volkslied. Mixturen wie diese sind natürlich nicht neu, meistens beruft man sich dabei auf Frank Zappa. Hier fallen einem auch Mr. Bungle oder skandinavische Perlen wie Düreforsög und HC Andersen ein. Dennoch bleibt Musik dieser Art rar genug, um Aufsehen zu erregen, und wenn sie dann qualitativ und emotional so überzeugend ist wie auf „Chain The Snake“, freut man sich umso mehr über diesen Zuwachs in der Discographie.
Der Bandname rührt übrigens nicht von Kapellmeister Paul her, sondern vom entumlauteten Nachnamen des Bandchefs und Hauptkomponisten Christian Achim Kühn. Der Gitarrist gründete die Band vor sieben Jahren in Groningen, mit Kontrabassist Esat Ekincioğlu aus der Türkei und Klarinettist Ziv Taubenfeld aus Israel. Heute ist noch Schlagzeuger George Hadow aus England mit im Ensemble, der hier erstmals Gründungsmitglied Lav Kovač ersetzt. Internationale Besetzung, die Welt in Kunst, Globalisierung in gut: „Chain The Snake“ ist ein schöner Soundtrack zu entnervenden Nachrichten über Brexit und andere Zerfallsbewegungen – und macht natürlich auch sonst gute Laune.