Von Matthias Bosenick (11.01.2022)
Geil, Krüger entrümpelt seinen Keller und fördert stapelweise Kassetten mit Demos und Liveaufnahmen zutage. Wenn er schon seit mehr als vier Jahren keine neue Musik herausbringt, dann wenigstens alte, und die ist ja deswegen nicht schlechter. Der Indierocker hat einfach das Gespür für Hooks, Arrangements und Punchlines, schon bei den Trottelkackern war das so, und damit überzeugen auch diese einstmals aussortierten Songs. Live kommen die Stücke, die er ansonsten zu Hause allein einspielt, noch besser zur Geltung, mit noch mehr Groove und einem fantastischen Zusammenspiel seiner erstklassigen Mitmusiker. Bei aller Ironie kann Krüger eines aber nie verbergen: seine Melancholie, die seinen Indierocksongs Tiefe und Schwere gibt, so straight sie auch rocken.
Man hört heraus, dass Krüger musikalisch in den Neunzigern einiges mitgenommen hat. „St. Nimmerleinstag“, der Titeltrack der ersten von zwei EPs, hätte auch von Neil Young sein können, mit stampfender Rockmusik, aber viel mehr Energie, besonders in der Liveversion, wenn auch sein Demo schon ordentlich Drive hat. Das Gitarrenriff von „Pfalsche Pfreunde“ erinnert an die Band, die Krüger auf dem EP-Cover als T-Shirt verehrt, Oasis nämlich, nur dass der Song im Gegensatz zu den Britpoppern kein Stück weinerlich ist.
Und das trotz der Inhalte: Krüger beobachtet sich und die Welt und zieht seine Rückschlüsse, und die sind zumeist wolkenverhangen. Uneingelöste Versprechen und nicht verlässliche Mitmenschen sind ja nun auch nicht eben Jubelthemen. Zwar behauptet Krüger in dem einzigen bereits veröffentlichten Song, „Hass ist immer noch mein Lieblingsgefühl“, aber das nimmt man ihm nicht ab, natürlich. Die drei Bonus-Tracks dieser ersten EP stammen wie das Demo aus dem Jahr 2010, wurden aber bei einem Livekonzert in Braunschweig im Jugendzentrum Heidberg mitgeschnitten. Als Studioversion unveröffentlicht, aber schon im Liveprogramm, das haben wir gerne!
Die vier Stücke auf „Rollercoaster“, der zweiten EP, sind sämtlichst unveröffentlicht – beinahe jedenfalls. Das Titelstück hat etwas Psychedelisches, was zum Thema passt, und man wundert sich, dass Krüger auf der Bandcamp-Seite vermerkt, der Song funktioniere erst, seit er ihm um mehr als die Hälfte kürzte, dabei klingt er im Fade-Out, als müsse er unbedingt weitergehen, um sein psychedelisches Potential voll auszuspielen. Ebenfalls gekürzt ist der Titel des zweiten Stücks, das statt romantisch „Der Wind singt traurige Lieder“ nur noch „Traurige Lieder“ heißt und die Krügersche Melancholie gleich zum Thema hat. „Ich werde das Gefühl nicht los, mein Leben liegt in Scherben“, singt er, und man mag nur hoffen, dass sich das lyrische Ich da nicht zu sehr mit dem Autoren deckt.
Zur Psychedelik zurück kehrt Krüger mit „In der Zwischenzeit“, das der Zauberer aus zwei Demos zusammenschnitt, was man nicht merkt, sich vielmehr über die Breaks und Arrangements freut, die sich da inmitten der spacigen Rockmusik überkreuzen. Dabei vermerkt der Künstler, dass er diesen Song bereits digital veröffentlicht hatte, ihn aber aus selbstkritischen Gründen wieder löschte. Und der Rausschmeißer „Alles dreht sich“ vertieft trotz Uptempo und rotzigem Refrain einmal mehr das Melancholische.
Bislang gibt es erst zwei „Unerhört“-EPs, Material dürfte Krüger für weit mehr haben, glaubt man den Fotos von Dutzenden Tapes, die er zeigte. Und zu haben sind diese EPs nicht ebenfalls als Tape, sondern nur digital, aber wer weiß, was da künftig noch möglich ist, wenn Krüger erstmal ordentlich Material aufarbeitete. Eine Doppel-CD oder so etwas. Nur zu! Kann nur gut werden. Aber erstmal Teil 3.