Kreisky – Adieu Unsterblichkeit – Wohnzimmer 2025

Von Guido Dörheide (15.11.2025)

Die wirklich sehr gute Rock- und Pop-Formation Kreisky – benannt nach dem ikonischen österreichischen sozialdemokratischen von 1970 bis 1983 amtierenden Bundeskanzler Bruno Kreisky – aus Österreich hat ein neues Album veröffentlicht: Es heißt „Adieu Unsterblichkeit“ und folgt der 2021er Veröffentlichung „Atlantis“ nach, die nun auch schon wieder ca. vier Jahre zurückliegt.

Umso gespannter war ich in Erwartung, was die Hörenden wohl auf dem aktuellen Album erwarten würde. Kreisky haben seit „Kreisky“, so der Name ihres selbstbetitelten 2007er Debütalbums, das genauso heißt wie der Name der Band, niemals enttäuscht – ganz im Gegenteil, mit „Meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld“ (2009), „Trouble“ (2011), „Blick auf die Alpen“ (2014), „Blitz“ (2018) und nicht zuletzt (natürlich nicht zuletzt, weil zuletzt kam ja „Adieu Unsterblichkeit“, nämlich in diesem Jahr) „Atlantis“ von 2021 haben Kreisky immer sehr gute Indie-/Alternative-/Postpunk-Musik mit wienerischem Anstrich abgeliefert, die zu hören man überhaupt nicht müde werden kann. Kreisky kombinieren die klassische Gitarre/Bass/Schlagzeug-Besetzung mit Synths und Orgeln und vor allem mit dem mit Wiener Schmäh angefüllten Gesang von Franz Adrian Wenzl. Dieser zieht auch gerne mal den ballonseidenen Trainingsanzug über und covert als schnurrbärtiger „Austrofred“ (Austrias Antwort auf Freddie Mercury) alte Queen-Titel oder gibt Fitnesstipps im Internet zum Besten.

Die gute Nachricht vorweg: Kreisky klingen auf „Adieu Unsterblichkeit“ genau so, wie man es sich nach dem Anhören der ersten sechs Alben (plus „Vor Publikum“, dem 2015er Live-Album) nicht besser wünschen kann.

Gleich der erste Song – „Ein fertiges Leben“ – rumpelt so richtig schön basslastig los und wird dann mit einer tollen Orgel aufgewertet und Wenzl singt unsterbliche Zeilen (von wegen „Adieu“ – Adieu deine Mudda!) wie „Komm heim, wir umarmen dich / Wir haben hier ein Leben für dich / Eine Bar, ein Konto, einen Bungalow / Ein fertiges Leben für dich / Ein fertiges Leben wartet hier auf dich“. Klingt beängstigend? Bingo! Nicht umsonst endet der Song mit „Feuer! Feuer! Feuer! / Feuer! Feuer! Feuer! / Nichts ist tot, alles ist untot / Nichts ist tot, alles ist untot / Komm heim.“ Na, wer kommt da nicht gerne heim? Der Song erinnert mich – bis auf den Wiener Schmäh beim Gesang – irgendwie an die frühen Fehlfarben und es taugt mir sehr. Besser kann es nicht anfangen, und schlechter wird es auf „Adieu Unsterblichkeit“ auch nimmer mehr.

Musikalisch darf und muss man von Kreisky keine großartigen Abwechslungen und Neuerfindungen des Fahrrades erwarten – der typische Kreisky-Sound ist eh unverwechselbar genug, dass man (also zumindest ich) sich gar nicht satt daran hören kann. „Fressen“ haut somit in dieselbe Kerbe wie „Ein fertiges Leben“ und wartet mit Botschaften wie „Hinter Deiner Brille lauert Böses – ein Raubtier. Wirst Du mich fressen mit Deinen Pranken zerteilen? Dein Maul in mich pressen, wirst Du das tun? Wirst Du mich kleinschneiden, wirst Du mich einfrieren, wirst Du mich filetieren, marinieren, mit Reis servieren?“ Ganz normale Fragen, wie Wenzl konstatiert. Und das Lied handelt nicht von Hannibal, dem Kannibalen, sondern anscheinend von einem Bänker. Sehr schön und treffend auf den Punkt gebracht aus der Sicht des Kunden.

Auf dem darauf folgenden Titelsong „Adieu Unsterblichkeit“ wird es musikalisch ein klein wenig skurriler – sehr schön und in Moll jagen die Keyboards die Eier durch die Bratpfanne, ein The-Cure-mäßiger Bass tut sein Übriges und Wenzl beklagt sich, dass er mal ein gutes Gehirn hatte, das jetzt aber immer dasselbe denkt – „Oh, diese Grausamkeit – Adieu, Unsterblichkeit“ und dazu bollern Bass und Gitarre, bis die Orgel zu einem wahrhaft apokalyptischen Zwischenspiel einsetzt und Wenzl „Ich komme der Welt abhanden!“ skandiert. Mehr Pathos geht nicht, und es passt hier gut hin und nervt an keiner Stelle – auch dann nicht, wenn Wenzl danach gefühlt 1.000 Mal „Adieu“ jault. Der Mann hat es einfach drauf. Man wird nicht umsonst der Austrofred, ohne sich dabei zu blamieren.

Das nächste Stück „Die Pedale“ ist einer der vorläufigen Höhepunkte (bzw. eigentlich der erste Höhepunkt vor dem eigentlichen Höhepunkt des Albums, den sich Kreisky für den Schluss aufgehoben haben, aber mehr dazu später) des Albums: Wenzl singt wieder einen seiner typischen Kreisky-Texte, dieses Mal handelt er vom Fahrradfahren, wo sich beim In-die-Pedale-Treten die Hose in die Speichen hineinarbeitet, später stellt sich heraus, dass es gar nicht ums Fahrradfahren, sondern um einen Tag in der Firma geht, dazu bollert der Bass und die Gitarre kreischt und quietscht und gegen Ende donnert das Stück dann wunderbar los – die unterdrückte Arbeitsbevölkerung nennt sich zuerst „Piraten“, dann „Wikinger“ und dann „Nazis“ – hier wird deutlich, wohin es führen kann, wenn von den Entrechteten und den Geknechteten verlangt wird, die Jungen, die die Katze bekommen hat, zu ertränken. Gegen Ende bricht ein Pandämonium aus Schlagzeug und kreischenden Gitarren los und Hilflosigkeit macht sich beim Hören breit. Am Ende ist man froh, dass das Stück – trotz aller Großartigkeit – vorüber ist.

„Ein sauberes Hemd“ wird mit einem One-of-these-Days-Impersonator von einem Bass eingeleitet und Wenzl wünscht den Hörenden jeden Tag ein weißes, sauberes gebügeltes Hemd, jeden Tag. Klingt nach Drohung? Ja, tut es. Langsam dräuend baut der Song sich auf und der Stapel sauberer Hemden erdrückt die Hörenden schier. Auf „Geh mir aus der Sonne“ geht es noch dräuender weiter: Ein donnernder Bass (Helmuth Brossmann heißt übrigens der Musikant, der mit seinem Instrument den Kreisky-Sound prägt) dominiert das Stück und Wenzls Gesang klingt angemessen schrill dazu. Zum Indierock und Postpunk gesellt sich hier eine angenehme Menge Noiserock hinzu. „Wir bleiben dabei – die Idee war gut. Es gibt nichts mehr zu trinken, nichts mehr zu tun und die Schaltzentrale ist völlig unbewacht.“ So geht es auf „Die Idee war gut“ weiter und die Indierockmaschine läuft hier wie geschmiert. Wieder mit grandiosem Orgelspiel und Wenzls Intonation klirrt in den Ohren der Rezipienten. Unglaublich, wie viele Facetten man einem solch traditionellem Instrumentarium entlocken kann. „Einer sagt yes und einer sagt no, einer sagt nichts, einer sagt ‚Let‘s go!‘“ Nicht nur die Idee war gut, auch Text, Musik und Umsetzung sind über jeden Zweifel erhaben.

Auf „Nachtstück“ liefern sich Gitarre und Bass eine Grusel-Schlacht, dass es mir schon fast wieder Leid tut, weiter oben behauptet zu haben, dass Kreisky das Fahrrad nicht neu erfinden – dieser Sound ist wahrhaft etwas komplett Eigenes, dass es so nur bei Kreisky gibt und nirgendwo sonst. Wenzls Stimme funktioniert nicht nur, wenn er schrill schreit (eigentlich klingt es sogar nach schrillem Schreien, wenn er flüstert, und wirklich schreien tut er fast nie, auch wenn es beim Hören oft so durch Mark und Bein geht, als schrie er die ganze Zeit), sondern auch und vor allem, wenn er – wie beim „Nachtstück“ – lamentiert, wehklagt, jammert und auch tatsächlich schreit.

Um ein neunstückiges Album in eine aus Prä-Streaming-Zeiten als nahezu optimal geltende Spielzeit von ungefähr einer Dreiviertelstunde zu pressen, bedarf es eines langen Stückes am Ende, und auch damit warten Kreisky hier auf: „Was ist das für eine Welt“ läuft am Ende der Langspielplatte acht Minuten lang, und keine davon ist verschwendet. Psychedelische Orgel (gespielt vom Austrofred himself), schleppendes, hypnotisches Schlagzeug (Klaus Mitter) sowie grandios postpunkig sich duellierende Saiteninstrumente (Martin Max Offenhuber an der Gitarre und der schon genannte Helmuth Brossmann am Bass) erschaffen hier eine Welt, von der man sich fragt „Was ist das für eine Welt?“ Was Wenzl mit sich überschlagender Stimme gegen Ende des Songs auf den Punkt bringt: „Eine Welt voll Hass, eine Welt voll Neid, eine Welt so blöde bis zum Schreien. Eine blöde Welt, eine böse Welt – und trotzdem die einzige Welt.“ In dem Sinne: Gehen wir bei und machen sie besser.

Und am Ende die schlechte Nachricht: Entwarnung – es gibt keine schlechte Nachricht. „Adieu Unsterblichkeit“ bekommt von mir glatte 11 von möglichen 10 Punkten und es sei allen Lesenden aufs Herzlichste anempfohlen, diesem großartigen Album einen würdigen Platz im heimischen Schallplattenschrank zu reservieren.