Von Matthias Bosenick (24.01.2025)
Ein Film mit einem reichlich anderen Adrian-Moment: „Kneecap“ handelt nicht einfach von einer Musikgruppe, die gegen alle Unkenrufe plötzlich erfolgreich ist und es allen zeigt. „Kneecap“ ist auch nicht einfach nur eine bunt-dynamische Sex-and-Drugs-and-Violence-Verherrlichung mit knalligem Soundtrack und guten Gags. Das ist zwar alles drin, wäre aber öde ohne das Fundament: „Kneecap“ handelt davon, als Teil einer unterdrückten Bevölkerungsgruppe selbst gegen die Mahnungen aus den eigenen Reihen mit einem gesellschaftlich geächteten Verhalten und somit unkonventionellem Vorgehen trotz aller Widerstände Menschen für etwas positiv Verbindendes zu mobilisieren. Damit ist „Kneecap“ ein politischer Film, der nichts beschönigt und trotzdem Hoffnung sät. Kneecap ist außerdem der Name des auf Gälisch rappenden nordirischen Hip-Hop-Trios, dessen Biografie hier dramaturgisch angereichert nacherzählt wird.
Auf Gälisch rappen an sich stößt hier schon Leute vor den Kopf, auf Gälisch rappen über Drogen, Sex und Gewalt bringt erstrecht alle auf die Barrikaden. Gälisch sprechende Nordiren, also Briten, sind eine Minderheit, und diese Minderheit versucht, mit Aktionen, Demos und Initiativen ihre Sprache vor dem Aussterben zu schützen, und das gegen Obrigkeiten, die dieser Minderheit keine Relevanz einräumen wollen. Der Zusammenhang lässt sich schnell recherchieren, wird dadurch aber nicht weniger kompliziert – protestantische Engländer als Unterdrücker katholischer Iren, Englisch als Verdränger von Gälisch, die Bilder von brutaler Gewalt ziehen sich durch die Jahrhunderte, der Nordirlandkonflikt ist ein feststehender Begriff, der einen Krieg mitten in Europa bezeichnet. Und selbst dieses ist eine extrem vereinfachte Darstellung der komplexen Situation in Belfast, Nordirland und der ganzen Republik Irland.
Heute kommt noch der Brexit erschwerend hinzu, die wirtschaftliche Lage in Großbritannien ist seit den Achtzigern mehr als angespannt und aktuell überspannt. Die Jugend macht sich keine Illusionen von einer glanzvollen Zukunft, gibt sich Sex, Drogen und Hip Hop hin und ist einer alltäglichen Gewalt ausgesetzt, die nicht nur von Angehörigen einer anderen Religion ausgeht, sondern auch vom Staat, zudem innerhalb der Familien, die ihrerseits schon nichts mit Hoffnung am Hut haben.
Da setzt der Film an, indem er zwei Jugendliche zeigt, deren Kindheit schon von Merkwürdigkeiten geprägt war – der bei der IRA kämpfende Vater des einen gibt einen Suizid vor und lebt im Untergrund – und die mit den genannten Delikten die Behörden gegen sich aufbringen. Bei einem Verhör behauptet der eine, lediglich Gälisch, also Irisch, und kein Englisch zu sprechen, weshalb man einen darauf spezialisierten Musiklehrer als Übersetzer engagiert. Delinquent und Dolmetscher tricksen die stahlharte Polizistin aus – und begegnen sich wieder, als der junge Mann vor aufgebrachten Briten flüchtet. Da der Lehrer die verräterische Kladde des Flüchtenden vor den Cops gerettet hatte, weiß er um die poetischen Fähigkeiten des Trainingsanzugsträgers und gestaltet mit ihm und dessen Kumpel in seiner Garage einen Hip-Hop-Track, von Drogen berauscht.
Was für die Kids ein Startsignal zu mehr ist, unterbindet der Lehrer, weil er einen Ruf und eine Gattin zu verlieren hat. Die nämlich engagiert sich in der Kampagne zum Erhalt des Gälischen und will ihre Sache seriös angehen. Doch die Umstände, die sich ergeben – da ist der Film schlüssig turbulent – motivieren den Lehrer, doch als DJ weiterzumachen, stets mit einer Sturmhaube in den Farben der Republik Irland maskiert. Per Internet gehen die Pub-Auftritte des Trios viral – und setzen einen Sturm der Entrüstung frei. Kneecap, wie sich das Trio nun nennt, also Kniescheibe, nach dem ersten Ziel für Schüsse auf Flüchtende, bringen alle Parteien gegen sich auf: Republikanische Nordiren, die Polizei, die Initiative zum Erhalt des Gälischen, und alle wegen der Sex- und Drogenthemen, die das Ansehen der Iren beschmutzen, Aufrufe zu Straftaten darstellen oder einfach die gute Sache in den Schmutz ziehen. Das Bekenntnis zum Republikanismus – hier, anders als etwa in den USA, positiv besetzt –, ist ein weiterer Streitpunkt. Doch da greift rührend der Adrian-Moment: Plötzlich fangen Kids an, auf Gälisch zu rappen, nämlich wie diese Kneecap im Internet. Plötzlich solidarisieren sich Familie und Freunde, als eine Radiostation den Song der Woche aus den genannten Gründen zurückzieht, und unterstellen den Verantwortlichen quasi Rassismus, mindestens Feigheit. Kneecap sind in aller Munde, im Schlechten, aber vermehrt auch im Guten, und stehen stellvertretend für diese eine Sache, diese große, das Aufbegehren der Unterdrückten, das Finden und Ausleben der eigenen Identität, die zu einer kollektiven Minderheiten-Identität wird. Fuck!
Genau dieser Aspekt hebt „Kneecap“ von reinen Drogen- und Party-Filmen ab. Auch wenn dieser Film vergleichbar rasant inszeniert ist wie etwa der sehr gute „Trainspotting“, bietet „Kneecap“ doch mit dieser politischen Ebene eine tiefere Ernsthaftigkeit inmitten des grandiosen Humors und der schlagfertigen Dialoge. Und der Gewalt; gelungen ist in diesem Zusammenhang, dass die extrem gewaltbereite Polizistin am Ende nicht die Abreibung bekommt, die man ihr als Zuschauer an den Hals wünscht – sie geht ohne Konsequenzen aus der Geschichte heraus, anders, als es in Hollywood-Filmen wäre, in denen Selbstjustiz zum guten Ton gehört. Eine solche mag es hier auch geben, als die gewaltbereiten Anti-Drogen-Republikaner den Begriff Kneecap am eigenen Leibe erfahren, aber das ist nur eine Szene unter vielen, in denen vielmehr die Unterdrücker die Oberhand behalten.
Ein interessanter Aspekt ist auch, dass dieses Trauma der Unterdrückung, das laut einem der Rapper den Menschen in der DNA steckt, auch im Alltag Gültigkeit erfährt: In Irland scheint es deshalb keine so große Kluft zwischen den Generationen zu geben, weil sie in der Situation geeint sind. So kommt es, dass ein alter Pub-Wirt den Rappern die ersten Auftritte ermöglicht, angesichts der Texte lediglich leicht resigniert mit den Augenbrauen zuckt und sich trotz von Gegnern zerstörter Kneipe nicht davon abhalten lässt, Kneecap erneut eine Bühne zu bieten. Zumal sich sein Bierumsatz dank Social Media erheblich gesteigert haben dürfte. Geeint im Schicksal, aber mit unterschiedlichen daraus abgeleiteten Maßnahmen, und da setzt der Kreis an, die Jugend findet eigene Wege, mit der gleichen Scheiße umzugehen.
Musikalisch überdies erfinden Kneecap nicht viel Neues, aber das, was sie machen, ist geil, basslastiger Electro, zwischen Hip Hop, Breakdance und Techno, zu dem die beiden Jungs überwiegend auf Irisch, bisweilen auf Englisch rappen, was eben den Unterschied macht. Die Stimme des einen erinnert an die von Ren, die dürften sich bestimmt schon mal über den Weg gelaufen sein. Spannenderweise spielen sich die drei Protagonisten im Film gleich mal selbst: Naoise Ó Cairealláin aka Móglaí Bap, Liam Óg Ó hAnnaidh aka Mo Chara und J.J. Ó Dochartaigh aka DJ Próvaí nimmt man nicht ab, dass sie keine Schauspieler sind, so überzeugend agieren sie. Da ist es unerheblich, dass „Kneecap“ keine vollständig realistische Abhandlung der Bandgründung sein soll – die Themen, die der Film darüber hinaus behandelt, sind von dem übergeordneter Relevanz. Liest man sich jedoch die Bandbiografie durch, ist es dennoch erschütternd, welche Aspekte der Wahrheit entsprechen. Auch mit teils überzogenen Sex- und Drogenszenen ist „Kneecap“ eine Empfehlung, weil jene Zusammenhänge verdeutlichen und der Schwerpunkt ohnehin woanders liegt.