Von Matthias Bosenick (30.07.2024)
Mist, man hat uns für Staffel Eins der Netflix-Serie „Kleo“ überall gelobt und uns sogar mit Preisen ausgezeichnet, wir müssen jetzt schnell eine zweite Staffel machen. Was war doch gleich die Ausgangslage? Ah, Chaos! Wischen wir weg, weil wir ja die erfolgreichen Konstellationen reproduzieren müssen. Ach kommt, doch nicht, wir machen es dann anders, mehr Spionage, mehr Drama, bisschen Herzschmerz. Den Humor schieben wir dafür an die Seite, die spannenden Figuren gestalten wir als Abziehbilder und eine Dramaturgie brauchen wir nicht, wir haben ja schließlich Action, Tarantino-Zitate, grandiose Film-Ästhetik, einen authentischen Soundtrack und ganz viele Plot-Twists, mit denen garantiert keiner rechnet! Das muss doch reichen, oder? Spoiler: nein.
Also, wie endete Staffel Eins noch gleich? Kleo sucht den roten Olsenbanden-Koffer mit dem Pakt zwischen Ronald Reagan und ihrem Onkel Erich Honecker darin, um eine neue DDR zu bewirken, und Sven, weil er dem Sozialismus zugunsten des West-Systems ein Ende bereiten will. Nach dem Sex haben sie deswegen Streit. Svens Gattin vögelt derweil mit seinem besten Freund, Techno-Drogi Thilo ist von einem UFO nach Sirius B entführt worden, Tarantino-Lookalike Uwe ist doch nicht tot und irgendwie mischen BND und KGB auch noch mit. Kleo und Sven sind zerstritten, Svens Leben steht Kopf, der Koffer ist verschollen. Start Staffel Zwei: Eigentlich war das mit Sven und seinem Kumpel doch eine tolle Ausgangslage für Buddy-Jokes, den Streit wegen Fremdvögelns räumen die beiden ganz männlich beiseite. Svens Frau ist einfach mal egal, der Sohn sowiso. Sven heftet sich einfach trotz der Streitereien an Kleos Fersen und geht ihr auf den Sack, Hauptsache, ein paar schnittige Oneliner sind möglich. Thilo steht plötzlich vor der Tür mit seiner Weltraum-Prinzessin im Schlepptau, wieder zurück aus dem All, und steigt abermals bei der Techno-Disco ein. Heißt: Anstatt den alten Faden neu zu verarbeiten, stricken die Serienmachenden einfach damit das alte Muster neu.
So schlimm, so überflüssig, aber: Die Machenden ziehen das Konzept nicht durch, sondern versuchen plötzlich, doch noch neue Aspekte einzubauen. Hier laufen diverse Stränge parallel: Kleo findet heraus, dass der Koffer mit einer verdrängten traumatisierenden Situation aus ihrer Kindheit zusammenhängt und sie sich in der Personalie Papa irrte, den Koffer jagen nun auch die CIA und eine DDR-Terrorgruppe, es wimmelt nur so von Doppelagenten mit Dreifachinteressen, der BND ist irgendwie verschwunden, Thilo denkt sich aus Enttäuschung über seine falsche Space-Prinzessin die Love Parade aus, der KGB jagt Kleo nach einem internen Putsch aus familiären Gründen, Uwe liebt Margot, Holger liebt Kleo, Sven auch, irgendwas vergessen? Bestimmt. Den Kosmonauten Harald zum Beispiel.
Der frische, unbedarfte Schwung der ersten Staffel ist weg. Auch der Humor, Sven darf sein Verhalten zwischen Selbstüberschätzung und Loyalität nur für vereinzelte Erinnerungsgags raushauen, Thilo darf autistisch philosophieren, der Rest ist wahlweise überdreht, aufgesetzt oder geht im Strudel der viel zu schnell abgehandelten Ereignisse unter. Für Charakterentwicklung verschwendet Staffel Zwei keine Zeit, schließlich kennt man die Leute ja bereits, und wer neu hinzukommt, ist Abziehbild. Wie die CIA-Killerin Rose, der KGB-Mann Nikolai, die Stasi-Frau Jutta oder – wer war da noch neu? Vergessen, viel zu viele Leute. Ach ja, Kim-Bär-Ly, die Stasi-Killerin, die den Koffer hat und die Sven zufällig vögelt, weil – ja, warum eigentlich? Svens Motivation ist komplett unklar: Ehe retten nein, Kumpel behalten okay, Kleo beeindrucken derbe, in Jugoslawien willkürliche Barbekanntschaft vögeln unbedingt. Und Koffer finden. Und alle so: hä?
Zur aufgedrückten Ernsthaftigkeit der neuen Staffel trägt nicht nur der Agenten-Thriller-Tonfall bei, auch Kleos PTBS und die eingebaute emotionale Verletzlichkeit ausgewählter Figuren, darunter Kleos Ex-Boyfriend Holger mit der einzig echt überzeugenden Sequenz (Kleo: „Ich kann jemanden wie dich nicht gebrauchen, der mich verletzbar macht“), der von seiner Sternenfrau enttäuschte Thilo („Wir sind nicht mehr wir, wir sind nur noch du und ich“), der zurückgewiesene Uwe („Fotze“) und Kleo selbst. Doch wirkt das alles nicht, es bleibt willkürlich.
Viel zu viel Inhalt für erstaunlich wenig Spielzeit, die Machenden handeln diese Ereignisdichte in nur sechs statt wie vor zwei Jahren noch in acht Episoden ab. Man merkt der Fortsetzung an, dass sie, trotz angelegter Fortsetzbarkeit, ein schneller Schuss sein musste. Was besser gewesen wäre: Weniger große Verschwörung, weniger Familienverwirrungen, weniger Zufall, mehr Ermittlungstätigkeiten, mehr Ruhe, mehr Humor und mehr Fokus auf die Figuren hätten der Serie gutgetan. Mehr Mut zu Experimenten überhaupt, schließlich belegt der Erfolg der ersten Ausgabe ja, dass es möglich ist, mit unkonventionellen Ideen mehrheitsfähig zu sein.
Ja, die Ästhetik ist Bombe, die Bilder sind in Farbe und Ausstattung kinotauglich. Waren jedoch die Tarantino-Zitate in der ersten Staffel noch dezidiert gesetzte Nerd-Momente, übertreiben es die Machenden dieses Mal, wiederholen die Kofferraum-Sequenz und zitieren direkt „Pulp Fiction“ (Svens Geiselnahme) und „Kill Bill“ (Kimberlys Kampf). Manche Szenen sind so hingehuscht, dass ihre Dramaturgie auf der Strecke bleibt, etwa das verhinderte Shoot-Out am Schluss. In dieser Staffel sterben so viele Menschen, dass gar keine Spannung mehr aufkommt; jede Figur spielt ein falsches Spiel, absolut jede, das nimmt die Aha-Momente, weil man einfach nach zwei, drei solcher Enttarnungen bei allen Folgenden gleich davon ausgeht und damit richtig liegt. Lästiger als lustig sind dabei solche Namenszufälle wie die von Kimberly und Ciana, die das Kerngespann auf die nächste Fährte bringen. Solche Details und die aufgesetzte Action langweilen, gedachte Aha-Momente gehen unter. Merkwürdig dabei ist, dass einen die Staffel trotzdem nicht langweilt, sondern lediglich gleichgültig lässt, auch eine Kunst.
Und dann so Plotholes. Alle jagen Kleo, aber sie sitzt ständig unbehelligt in ihrem Garten in der Hollywoodschaukel; ihren Kumpels hingegen gelingt ständig, was ihre Feinde nicht schaffen. Als Margot Uwe den Kuss verweigert und ihn auslacht – überdies billig inszeniert wie auf einer Volkstheaterbühne –, unterschätzt sie ernsthaft die Unzurechnungsfähigkeit ihres Killers. Ramona soll sich in Moskau um Uwe kümmern, lässt ihn aber in der Situation ihrer größten Angreifbarkeit einfach so herumlaufen. Die CIA metztelt die BND-Agentin blutig in einem Hotel ab, und trotzdem vertraut man der CIA danach noch ausreichend. Die gesamte CIA-Sache ist aufgesetzt und wahlweise ein Fremdkörper oder ein Jack in the box, der in brenzligen Situationen die Hauptfiguren rettet. Thilos nicht schlüssig erklärte Rückkehr ist bedauerlich, als hätte man dem eigenen Witz aus Staffel Eins nicht vertraut, dass er nämlich tatsächlich von Aliens abgeholt wurde, naja, dafür landet er dieses Mal eben wegen eines müden Risses im Raum-Zeit-Kontinuum in der Area 51, und immerhin hat die Figur einige bemerkenswerte Momente.
Thilos Darsteller Julius Feldmeier spielt den abgespaceten Techno-Drogi amateurhaft, aber zur Figur passend. Wenn man Dimitrij Schaad denn mal von der Leine lässt, überzeugt er als Sven auch gleich, in seiner Art zu sprechen und sich dabei zu bewegen liegt sehr viel Humor („Du blöde … … … … Kuuuuh!“). Nach wie vor großartig spielt Jella Haase in der Hauptrolle – da Kleo sich oft verkleidet, ist Haases Performance die einer Art Meta-Multi-Schauspielerin. Und Vincent Redetzki spielt den wahnsinnigen Tarantino-Uwe bedrohlich überzeugend.
Um auch mal die Machenden mal aufzuführen: Das Autoren-Team besteht aus Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad, die „HaRiBo“ genannt werden, und Katharina Brauer. Für die Regie der Episoden wechselten sich Isabel Braak und Nina Vukovic ab. Den zusätzlichen Score zum hörenswerten Soundtrack mit authentischen Songs der Zeit erstellte Johnny Klimek.
Natürlich lässt das Ende die Option für Staffel Drei offen. Kleo und Sven halten Händchen und knutschen, während sie in Moskau den Pakt im Besitz haben und sich der Kosmonaut aus Kleos diffusen Kindheitserinnerungen als ihr Zwillingsbruder herausstellt, von dem nie zuvor die Rede war. Kleo ist Gegnerin von allen politischen und wirtschaftlichen Systemen und damit nach wie vor hinreichend unklar motiviert. Terminator-Zombie Uwe lebt natürlich weiter. Will man das noch weitersehen? Naja: „Stranger Things“ wurde nach der vergurkten dritten Staffel sogar exorbitant gut. Vielleicht fangen sich die Serienmachenden ja.