Von Guido Dörheide (31.10.2023)
Beim ersten Hören dachte ich „Was ist das?“ bzw. „Was soll das?“ Hatten die sechs Australier früher in diesem Jahr auf „PetroDragonic Apocalypse“ noch progressiven Thrash Metal mit der KGLW-typischen durchgeknallten Psychedelic gemischt, kommt „The Silver Cord“ rein elektronisch daher, womit ich nicht gerechnet hätte und was mir darob erstmal etwas Eingewöhnung abverlangte. Nach dieser lässt mich das Album jedoch nicht mehr los.
„The Silver Cord“ ist bereits das 25. Album, das King Gizzard & The Lizard Wizard seit 2012 veröffentlicht haben, und dieses Mal treiben sie ihre Veröffentlichungswut auf die Spitze bzw. nehmen sie gleichsam auf die Schippe, indem sie dasselbe Album zweimal gleichzeitig herausbringen. „The Silver Cord“ enthält 7 neue Songs mit einer Gesamtspielzeit von 28:14 Minuten. Anschließend folgen 7 bereits bekannte Songs mit einer Gesamtspielzeit von nochmal knapp anderthalb Stunden. Es handelt sich dabei um die ersten 7 Songs des Albums in der Extended-Mix-Version. Bereits die Langversion des Eröffnungsstücks „Theia“ ist mit über 20 Minuten fast so lang wie das ursprüngliche Album.
Im Zentrum des Albums (sowie auch im Zentrum des Studios, wie Sänger Stu Mackenzie im Interview verriet) steht Schlagzeuger Michael Kavanaghs neu erstandenes Simmons-Drumkit, so ein elektronisches Monsterteil aus den 80ern, mit diesen flachen, sechseckigen Drumpads, die an einen schwarzen Kasten angeschlossen sind, mit dem man verschiedenste Drumsounds erzeugen kann.
Und genau dieses Teil regiert mit seinem Beat das Album, ohne dabei den KGLW-typischen psychedelischen Sound irgendwie überzeugend an den Rand drängen zu können. Zum Einen ist das ein Verdienst von Stu Mackenzie, dessen sich wie immer nicht festnageln lassender, überaus melodischer und immer komplett merkwürdiger Gesang den Hörenden deutlich macht, dass sie es hier mit einem neuen Release aus dem Gizzverse zu tun hat, zum Anderen tun aber auch die übrigen Instrumente ihren Teil dazu. Egal, was KGLW machen, ob Thrash Metal, Psychedelic Rock oder reine Elektronik, immer hört man die typische Mikrotonik und noch viel mehr die typische Versponnenheit der schon auf dem Cover des aktuellen Albums mit ihren roten Brillen inmitten von Synthesizer-Türmen, obskuren umhängbaren Instrumenten aus dem Hause Casio und dem besagten Simmons-Drumkit abgelichteten merkwürdig-geekig daherkommenden Kapelle recht schnell heraus.
Was mir auf „The Silver Cord“ gleich sehr positiv auffällt, ist der abwechselnde Gesang von Stu Mackenzie und Ambrose Kenny Smith. Mackenzie sorgt für die gewohnte Psychedelik und Smith rappt. Wobei er nicht wirklich hiphopmäßig rappt, sondern eher einen Sprechgesang absondert, der der Frankfurter Schule des Eurodance alle Ehre macht und den Jam dermaßen aufpumpt, dass die Party unmittelbar startet.
Beispiel: Mein Lieblingssong „Set“. Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Gesellschaftsspiel – meinem apseluten Lieblingsspiel – es handelt vielmehr vom ägyptischen Gott Seth und der Refrain lautet „Slay the mighty Set“, gefühlt 1000 mal wiederholt, und dazu ballern tanzorientierte Drums in die Nacht und auch ein Teil der Syntheziser-Melodie greift den gesungenen Refrain wieder auf. Wirklich schön.
Aber nun mal von Anfang an:
„Theia“ beginnt mit einem schöön vor sich hin quäkenden Synth, dann setzt Stu Mackenzie ein und danach alle anderen Instrumente. Als dann alles beisammen ist, hört es sich an, wie Sufjan Stevens oder Bon Iver mit endlich mal voller Instrumentierung, nur besser. Und dann nimmt das Schlagzeug so richtig Fahrt auf und peitscht den Song weiter und weiter und weiter. Als nächstes folgt der Titelsong „The Silver Cord“, der nach dem Namen des Albums benannt wurde. Der Gesang wird zunächst durch den Vocoder verfremdet, was zugegebenermaßen scheiße klingt, aber dem Gesamteindruck keinen Abbruch tut: Stu Mackenzie kann notfalls auch das Telefonbuch von Canberra durch den Vocoder einsingen, und es macht durchaus trotzdem noch Sinn. Und so nimmt „The Silver Cord“ die Hörenden dann auch nach und nach durch seine Melodie gefangen, um kurz vor Schluss melodramatisch loszudröhnen, ohne an Tempo zu gewinnen, sowas muss man erstmal hinkriegen. Und dann „Set“, ich sprach bereits drüber. Zweifellos über jeden Zweifel erhaben.
„Chang’e“ klingt erstmal nach einer typischen KGLW-Versponnenheit, die sich langsam aufbaut. Stu Mackenzie singt, wie er immer singt, helle Stimme, irgendwie leicht hingehaucht, und darunter blubbern die merkwürdigen Beats aus dem merkwürdigen Schlagzeug. Gegen Ende blubbert es immer intensiver und dann geht der Song in den folgenden Titel „Gilgamesh“ über, bei dem Smith schnell das Zepter übernimmt und stakkatomäßig losschnattert, bis dann wieder Mackenzie übernimmt, dann wieder Smith und immer so weiter. Kenne ich bisher von KGLW nicht und gefällt mir umso mehr.
Beim darauf folgenden „Swansong“ schütteln die dort besungenen Schwäne dann heftig das Haupthaar. Das Schlagzeug macht einen mächtig schnellen 80er-Jahre-Beat und Smith und Mackenzie wechseln sich kongenial beim Gesang ab. Im Hintergrund jaulen herrliche Synths; einen Schwanengesang hätte ich mir immer sehr viel ruhiger vorgestellt. So langsam grooven sich die Hörenden dann in das Album ein, es beginnt, seine hypnotische Wirkung zu entfalten, und King Gizzard & The Lizard Wizards einzigartige Alleinstellung manifestiert sich wie Sau. Das letzte Stück „Extinction“ ist recht schnell, die Synths flackern fröhlich vor sich hin, das Schlagzeug spottet jeder Beschreibung und dann sind wir auch schon durch die 28:14 Minuten durch. Was 1 Album! Und es hört ja noch nicht auf:
Dann nämlich „Theia“ in seiner gut 20minütigen Vollendung: Was für ein Stück! Die Elektronik pluckert (ja, tut sie wirklich) und Mackenzie haucht und singt darüber, als gäbe es kein Morgen. So schnell verging eine Drittelstunde bisher noch niemals. Was die „Extended Mixes“ über die kurzen Originale erhebt, ist das wunderschöne Ausreizen der Instrumentalparts: Der Gesang bleibt genauso, wie er im kurzen Originalstück bereits war, aber an den Saiten, Tasten und sechseckigen Drumpads toben sich KGLW hier so richtig aus. Bereits bei „Theia“ gerät im letzten Fünftel des Stücks so einiges aus den Fugen, und das setzt sich fort:
Das eh schon stimmungsvolle Titelstück beginnt wie in der kurzen Version, in der es jedoch niemals so richtig aus sich herauskommt, und umso mehr tut es das in der Extended Version. Die zwölf Minuten und 45 Sekunden sind komplett notwendig, um alles zur Geltung kommen zu lassen, was die Band hier ausdrücken wollte, und es kommt einem schon fast merkwürdig vor, dass das Stück ursprünglich nur fast viereinhalb Minuten dauerte.
Dann wieder „Set“ – eh schon mein Favorit, siehe oben, und in der gut zehnminütigen Version noch viel schöner als zuvor.
Das nun folgende, langweiligste Stück „Chang’e“ gewinnt durch den langen Mix ebenfalls und bildet eh nur den Übergang zu „Gilgamesh“. Das hier nicht so Smith-mäßig dominiert herüberkommt wie die kurze Version, sondern eher entschleunigt wirkt und durch die irgendwie entfernt an Frankie Goes To Hollywood erinnernden eingestreuten Instrumentalparts ungeheuer gewinnt. Dann „Swan Song“, das auch in der längeren Version sämtliche verfügbaren Schwäne in die Flucht schlägt und immer wieder schön trancig vor sich hin hämmert. Der das Album abschließende Extended-Mix von „Extinction“ beginnt dann sphärisch und ruhig, bis Mackenzie an zu singen fängt und Synths und Schlagzeug sich in den Vordergrund drängen. Am Beat ändert sich während der ganzen zwölfeinhalb Minuten nichts, außer, dass er kurz vor Ende nochmal monotoner und irgendwie toller wird, dann übernimmt wieder Mackenzie und das Album fadet elektronisch pluckernd aus – wie: Schon vorbei nach knapp zwei Stunden? KGLW haben es geschafft, uns zu keiner Sekunde zu langweilen, und statistisch gesehen stehen uns heuer noch zwei bis drei weitere Alben zu – sind wir mal gespannt!