Von Matthias Bosenick (08.11.2015)
Da sind sie wieder, zum dritten Mal seit der Reunion in Originalbesetzung, zum sechsten Mal insgesamt: Killing Joke empfehlen sich mit „Pylon“ einmal mehr zum Anwärter auf das Album des Jahres. Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass das Album die Wucht hat, die die Vorabsingle „I Am The Virus“ ausstrahlt. Hat es aber nicht, „Pylon“ klingt vergleichsweise handzahm, fast milde. Der heavy Post Punk strahlt hier zwar subliminal durch, doch konzentriert sich die Band eher auf Atmosphären und Stimmungen, die auf der Heavyness basieren. So bleibt nach den anderthalb Stunden der Deluxe-Version zwar nicht so viel hängen, aber man hat immerhin das Gefühl, etwas Gutes gehört zu haben. Für den Titel „Album des Jahres“ aber legt das selbstbetitelte Debüt der Brothers Of The Sonic Cloth einige Pfund mehr auf die Waage.
„Pylon“ klingt an vielen Stellen wie eine Best-Of mit Songs, die es noch nicht gab. Killing Joke reiten durch die Höhepunkte ihrer Arbeit, an denen bisweilen nicht mal die Leute beteiligt waren, die jetzt wieder in der Band sind. Manche Harmonien erinnern an das eher verhasste, aber geile Pop-Album „Brighter Than A Thousand Suns“ von 1986, manche an die riffigen Ausflüge der Dance-Metal-Zeit um „Pandemonium“ und „Democracy“ 1994 und 1996, manche an das dennoch härtere „Extremities, Dirt And Various Repressed Emotion“ von 1990. Richtig griffig werden sie eigentlich nur im Auftaktstück „Autonomous Zone“ mit dem geilen geslapten Bass im Intro, in „New Jerusalem“ sowie im bekannten „I Am The Virus“. Im letzten Track „Snakedance“ auf der Bomus-CD darf Bassist Youth einmal mehr sein Handwerk als begnadeter Remixer austoben, er zerhackt das Lied zu einem attraktiven harten und dubbigen Tanztrack. Angenehm fällt auf, dass Jaz Coleman es auch hier wieder weitgehend unterlässt, wie noch auf „Hosannas From The Basements Of Hell“ 2006 die Songs zuzuschreien, und stattdessen angenehm singt, was ihm und der Musik gut steht, schließlich hat er eine attraktive und einzigartige Stimme.
Man muss jedoch feststellen, dass „Pylon“ kaum wirklich etwas bemerkenswert Neues beinhaltet. Man hört das Album zwar gern und fühlt sich darin sofort zu Hause, doch hinterlässt es einen schalen Nachgeschmack, wie ein zwar ansprechendes Menü, das aber nicht ausreichend gewürzt ist. Das liegt sicherlich auch an der recht dumpfen Produktion. „Pylon“ klingt latent wie aus dem Schuhkarton, da bleibt so manche musikalische Idee an der Pappe haften.
Killing Joke finanzierten auch dieses Album via Pledge, was dummerweise von Deutschland aus nicht möglich war. Auf CD ist es in zwei Varianten erhältlich, was etwas blöd ist, da sich die Bonus-CD mit weiteren fünf Stücken relevant an das Haupt-Album anschließt und es wie aus einem Guss wirken lässt. Auch die Doppel-LP gibt es in zwei Varianten. Die eine beinhaltet nur das fast neunminütige „Panopticum“ von der Bonus-CD, die andere noch „Snakedance“, jedoch nicht in der Remix-Version – damit muss sich der Fan dann beide Formate zulegen. Wenn er das für nötig hält.