Von Guido Dörheide (17.07.2023)
Ich gebe ja zu, dass ich mit zeitgenössischer Sprechgesangmusik auf Kriegsfuß stehe, wenn es sich nicht gerade um Slowthai oder Little Simz handelt (ups – beide aus UK), aber die Sachen von früher aus USA (N.W.A., Wu Tang, Public Enemy, Ice-T, Biggie Smalls etc. usw.) finde ich immer noch klasse.
Daher freue ich mich, wenn mal wieder einer wie Killer Mike um die Ecke kommt und den Wumms und den Flow von damals um 1990 herum mit aktuellen Texten mischt. Killer Mike ist fast so alt wie ich und macht schon seit den frühen 2000ern Alben und außerdem ist er im Rahmen der „I can‘t breathe“-Kontroverse als eines der beiden Mitglieder von „Run The Jewels“ bekannt geworden, die mit ihren bisher drei Alben nicht nur das Feuilleton, sondern auch die Fans zeitgenössischer Sprechgesangmusik begeistert haben.
Was mir bei „MICHAEL“ sogleich sehr positiv auffällt, ist, dass hier nicht harte Rhymes mittels weichspülender Fahrstuhlmusik ad absurdum geführt werden (sorry Kendick Lamar – den Pulitzerpreis für Musik wirst Du von mir nimmermals bekommen), sondern, wie es sich aus Sicht eines Hiphophörers älteren Semesters wie mich gehört, wütendes Gerappe mit harten Beats und inbrünstig vorgetragenem Soulgesang angereichtert und den geneigten Hörenden mit Schmackes ins Gesicht hinein serviert wird.
Und das bedeutet hier nicht gleich, dass die Zuhörenden die Arena bis zur Unkenntlichkeit lädiert verlassen, so als hätten sich Anaal Nathrakh und Cannibal Corpse an ihnen ausgetobt – nein, Killer Mike ermöglicht auf „MICHAEL“ ein durchaus angenehmes Hörgefühl. Das beginnt mit Michael Santiago Renders Stimme, die aller zum Besten gegebenen robusten Lyriken zum Trotz die Hörenden niemals vor den Kopf stößt, sondern immer irgendwie mitnimmt, abholt undsoweiter, man kann zu seiner Musik prima mit dem Kopf nicken und denselben dann wieder und wieder schütteln, sobald man sich mit den Texten beschäftigt hat:
Gleich im ersten Stück „Down By Law“ (feat. CeeLo Green) feiert er unter anderem Winnie Mandela, was die anderen Gefeierten leider mit runterzieht. In „Talkin‘ That Shit!“ wird er hompohob, wenn er singt „All of you niggas hang together on some Brokeback shit“. In dem Song „Something For Junkies“ lässt er Louis Farrakhan zu Wort kommen – den offen antisemitischen Anführer der „Nation Of Islam“, der seit Jahren die Werbetrommel für Scientology rührt.
Warum um alles in der Welt hat Killer Mike so einen abstoßenden Scheiß nötig? Im zweiten Song „Shed Tears“ beschreibt er, wie es ist, unter extrem schlechten Begleitumständen aufgewachsen zu sein, unterstützt von Mozzy und Lena Bird Miles, letztere gibt dem Elend haufenweise Soul dazu und das tut dem Stück sehr gut.
Das folgende Stück „Run“ beschäftigt sich damit, dass es oft das Beste ist, zu rennen (wie Forrest Gump) und nicht zu passen (jahaa – manchmal lohnt es sich, dem alten Kenny Rogers zuzuhören) – keine befriedigende Aussage, aber im Kontext nachvollziehbar und schlüssig.
So geht es weiter und weiter – die USA sind kein Land, in dem Minderheiten unbenachteiligt wären, und Killer Mike verleiht diesen eine eindrucksvolle Stimme, starke Lyrics, harte Beats und einschmeichelnden Soul drumherum.
Was ich bei Killer Mike – außer der Tatsache, dass er doch eigentlich auf der richtigen Seite steht und das musikalisch und lyrisch auf das Eindrucksvollste kundtut – immer gedacht habe, ist, dass ich bei einem Album wie MICHAEL – ähnlich wie beim Gesamt-Oeuvre von Run The Jewels – nicht auf die Texte achten muss, um zu wissen, worum es hier geht, es aber trotzdem kann und mich sowohl politisch als auch auf der Tanzfläche haltungsmäßig gut aufgehoben weiß. Die oben genannten (hoffentlich!!!) Ausreißer lassen mich da ein wenig ratlos zurück. A couple of Benzes („Scientists & Engineers“) seien ihm dennoch von Herzen gegönnt.