Von Matthias Bosenick (22.07.2021)
Schon das Intro ist sowas von bemerkenswert: Justin Sullivan summt. Man fühlt sich aus dem Stand umfangen, umgeben, umschlossen, umspült, eben „Surrounded“. Auf seinem zweiten Studio-Soloalbum reduziert der Sänger die vertrauten New-Model-Army-Anteile auf die stilleren, akustischen Momente, wie man sie bei seiner Hauptband auch bisweilen kennt und wie er sie auf „Navigating By The Stars“ 2003 schon so herzerwärmend herausfiltrierte. Auch so etwas kann also die Folge sein, wenn man als Künstler von einem pandemischen Lockdown betroffen ist.
Sullivan zupft seine akustische Gitarre und singt dazu seine Balladen. Klingt so erstmal wenig spektakulär, weil das Feld der Singer-Songwriter ja nun wirklich seit Jahrzehnten zu Tode geackert ist, aber: Bei Sullivan handelt es sich nicht um einen romantischen Lagerfeuerbarden oder einen Betroffenheitsjammerlappen. Er hat etwas zu sagen und er kann mehr als nur drei Akkorde schrammeln, er weiß mit seinem Instrument umzugehen, kreiert Stimmungen, melancholisch-reflektierte zumeist, die er mit seinen Gesangsmelodien verstärkt. Und er weiß zu arrangieren, wenn etwa seine Stimme gedoppelt noch dringlicher wirken soll, er sein Keyboard anwirft – oder er auch mal Unterstützung von dritter Seite benötigt.
„Surrounded“ ist nämlich keine Platte, auf der man lediglich den Sänger 16 Songs klimpern hört. Seine Bandkumpane Michael Dean (der Schlagzeuger steuert Percussion und einmal Backingvocals bei), Ceri Monger (hier zweimal mit dem Dulcimer vertreten), Dean White (gelegentlich mit der Gitarre dabei) und Marshal Gill (mit in jeder Hinsicht einmaligen Gitarrendrones) von New Model Army schickten ihm Beiträge. Weitere Gäste sind die Violinisten Henning Nugel (auch einmal mit der Flöte an Bord) und Shir-Ran Yinon (die bereits NMA-erprobt ist), Cellist Tobias Unterberg (von den Folkrockern Inchtabokatables), Jazz-Bassist Jon Thorne (kam auch bei Lamb zum Einsatz), Pianist Jamie Lockhart (von Mi Mye) sowie Matt Bourne (Harmonium), Tom Moth (Harfe, von Florence + The Machine), Matthew Evens (Vibraphon) und die fabelhaften Sängerinnen Laura Shackleton und Anna Douglas.
Auch wenn einige Songs nicht wirklich hängen bleiben wollen, hat Sullivan ein wahres Füllhorn an eingängigen Stücken dabei. Meistens hängt dies eng an seiner Stimme, die er so wunderbar wandelbar einsetzt, mal unterdrückt energetisch gepresst in höheren Lagen, mal tief und raumfüllend. Selbstredend hört man seinem Gesang schon länger sein Alter an, aber das gehört dazu, dass man das als ernstzunehmender Künstler nicht versteckt, sondern damit arbeitet. Und Sullivan holt das Beste aus sich heraus.
Beachtlich ist, dass das Album bis auf etwas Percussion keine Beats hat; das macht den Reigen zusammenhängend und schlüssig, aber nicht langweilig. Und es ist kein Schnellschuss, auch wenn es quasi als Reaktion auf Corona entstand. Dennoch, „Navigating By The Stars“ von 2003 bleibt unübertroffen; dessen maritime Thematik greift Sullivan auch hier übrigens auf, und wenn auch nur in Titeln wie „Rip Tides“, „Sea Again“, „Amundsen“ oder „Clean Horizon“.
Ein richtiges Zweitwerk ist „Surrounded“ indes nicht, denn Sullivan hat noch Live-Alben im Oeuvre, „Tales Of The Road“ etwa als Justin Sullivan & Friends von 2004, „Big Guitars In Little Europe“ mit Dave Blomberg aus dem Jahr 1995 und das Live-Projekt Red Sky Coven mit Brett Selby, Rev Hammer und Joolz, die auch hier das Cover gestaltete, ja sowieso.
„Surrounded“ gibt es auf CD in einem Mediabook, wie auch bei New Model Army üblich, mit Fotos und Texten.