Von Matthias Bosenick (01.03.2018)
Der beste der jüngeren Serienautoren wurde leider gekickt, weil die Entscheider anderer qualitativer Meinung waren, aber für den jüngsten Spin-Off der 80 Jahre alten Serie „Spirou“ kehrt José Munuera als Autor und Zeichner nun zurück ins Ensemble. Die neue Reihe „Spirou präsentiert“ wirft – hier ganz ohne die Serienhelden – Schlaglichter auf Nebenfiguren des ausufernden Universums, den Auftakt macht des Grafen von Rummelsdorfs Counterpart Zyklotrop. Ihm stellt Munuera eine schlagkräftige Tochter zur Seite. Zwar ist die Geschichte selbst recht geradlinig, aber die sich darin offenbarenden Hintergründe laden zum Psycholigisieren des unangenehmen Trottelschurken ein.
Zyklotrop ist ein gescheiterter Wissenschaftler und Erfinder mit Größenwahn und Hang zur Weltherrschaft, also ein klassischer Oberschurke, wie ihn die Literatur millionenfach hervorgebracht hat. Da der Mann den Grafen von Rummelsdorf aus historisch-persönlichen Gründen zu seinem Erzrivalen erkoren hat, sind dessen beste Freunde Spirou und Fantasio automatisch auch seine Feinde. Eingeführt hat diesen wahnwitzigen Wahnsinnigen 1960 André Franquin, der Zeichner, der der Serie von 1946 ab das markante Gesicht gab und den Grundstein für das bis heute gültige Universum legte. Dieser Zyklotrop war dazu in der Lage, mittels Zyklostrahlen den Willen der Menschen zu brechen und sie gefügig zu machen. Seine durchaus genialen Erfindungen nutze er zumeist zu eigenen Zwecken und destruktiv, als Waffen etwa; sein flugfähiges Zyklomobil findet auch in „Die Tochter des Z“ Verwendung. Sein Größenwahn basiert auf einer Ablehnung, die ihm als Student zuteil wurde, vornehmlich vom Grafen von Rummelsdorf, der Zyklotrops Ungeschick und Eigennutz in dessen Genialität offenlegte. Und dessen zeitweilige moralische Verirrtheit. Zyklotrop tauchte immer wieder in der Serie auf, auch bei Munuera. Bisweilen strahlte er das beklemmende Wesen des nahezu dämonischen Unbesiegbaren aus, doch zuletzt ging ihm die vergiftete Luft aus, er erkannte seinen Irrweg und schloss sich gar dem Grafen an. Eine grundsätzliche Skepsis gegenüber seiner Läuterung liegt seitdem jedoch in jeder Begegnung mit diesem unberechenbaren Genie.
Dort setzt Munuera an, indem er die Beweggründe Zyklotrops nachvollziehbar, aber überzogen und fehlgeleitet skizziert, dessen Geist also schlüssig erfasst und auf einer völlig neuen Ebene wirken lässt. Hier hat er eine Tochter, Zandra, ein Teenager, den er mit einer beängstigenden Technologie rundum überwacht. Sie fühlt sich gefangen, er sich für sie verantwortlich; das klassische Eltern-Kind-Dilemma mithin. Munuera erklärt, wie Zyklotrop seine gigantomanischen Stationen bislang zu finanzieren wusste: Indem er schmutzige Deals mit Militärs eingeht. Einer seiner Kunden will nun mit der Gewalt der Waffen, die Zyklotrop ihm selbst zugespielt hat, dessen neueste Wunderwaffe in seinen Besitz bringen. Für diese selbst ist es überraschend, überhaupt eine Waffe zu sein, denn es handelt sich um Zandra, eine Androidin. Es folgen einige rasante Action und ein stimmiges Finale.
Es zeugt von reichlich Geschick, wie Munuera Zyklotrops Charakter hier zur Anwendung bringt. Zyklotrops Allmachtswillen überträgt der Autor auf die Vaterrolle, die Herr Z lediglich deshalb einnehmen kann, weil er seine Tochter selbst generiert hat. Der Erfindergeist findet unter anderem in fliegenden Überwachungsrobotern Niederschlag; damit spricht Munuera eine gegenwärtige Grundangst und Grundhoffnung der Gesellschaft an: den Widerspruch zwischen Schutz und Kontrolle von Seiten der Mächtigen. Den Willen, Verantwortung zu übernehmen, drückt Munuera in der überzogenen Haltung Zyklotrops als Vater aus. Und seine trottelige Kurzsichtigkeit darin, dass ihn der bösartige General buchstäblich mit den eigenen Waffen schlagen kann.
Man kann nachvollziehen, dass es Gründe dafür gibt, dass Zyklotrop sich einen künstlichen Menschen in sein Leben bastelt: die Einsamkeit des Mächtigen, des Ausgestoßenen, des vermeintlich Missverstandenen. Mit einem Zögling ist er dazu in der Lage, seine Lebensweise erzieherisch auf eine neue Generation zu übertragen. Interessant ist, dass sich ein Zyklotrop keinen gleichberechtigten Menschen bastelt, sondern ein Kind, also ein Wesen, das er kontrollieren kann – bis es in die Pubertät kommt. Etwas befremdlich ist dabei, dass dieses Kind zwingend weiblich sein muss. Mit einer Partnerin auf Augenhöhe oder einem Sohn hätte er sich andere Problemfelder erschaffen als mit einem heranwachsenden weiblichen Wesen mit sich entwickelnder Sexualität (Zyklotrop erwischt Zandra zu Beginn, als sie mit ihrem Freund André (Franquin?) ins Kino geht). Der Sex scheint also für jemanden wie Zyklotrop eine Gefahr darzustellen, vermutlich, weil Sexualität und Liebe häufig eng verbunden sind und Zyklotrop seine Emotionalität nicht unter Kontrolle hat. Kontrollverlust ist dann wohl die größte Angst des Despoten.
Auf psychologischer und analytischer Ebene gibt „Die Tochter des Z“ also eine Menge her, wenn man einigen Einblick in Zyklotrops Wesen mitbringt. Dafür ist die Handlung dieses Serienauftaktes reichlich dünn. Konzentriert man sich vorrangig darauf, mag man sogar etwas enttäuscht sein: Zandras wahre Existenz ist die Überraschung, der Rest ist lediglich (immerhin gute) Action.
Um die Action zu transportieren, hat Munuera seinen Zeichenstil beibehalten: Schon seine Bände im Rahmen der Hauptreihe waren üppig ausgestattet und fein ziseliert. „Die Tochter des Z“ erinnert in einigen Passagen dennoch eher an einen Manga; das liegt so nahe, wie es Munuera selbst in seinem Band „Spirou in Tokio“ schon anlegte, und passt auch ganz gut in die eigene Reihe.
Mit diesem neuesten Spin-Off ist Spirou Disney wieder um eins voraus: Seit der Micky-Maus-Konzern „Star Wars“ kaufte, produziert er davon Nebenarme noch und nöcher, ganz, wie es die „One Shots“ von Spirou vormachten. Und damit negiert Spirou indirekt Uderzo, der Walt Disney als Vorbild für seinen Asterix angab; in Wahrheit sind natürlich die Frankobelgier die Erfinder des Comic und ein Disney ist nur ein Adapteur.
Das Universum rund um Spirou birgt so manche lieb gewonnene Nebenfigur. Unklar ist, ob der erste Zyklotrop jetzt als Basis für die neue Serie dient oder ob hernach jede Episode eine andere Figur in den Mittelpunkt rückt; das französische Wikipedia legt ersteres nahe (im Original heißt er übrigens „Zorglub“). Gespannt sein darf man gewiss auf einen ganz besonderen Spezialband: „Spirou in Berlin“ von Flix, der im Sommer erscheint, ist der erste One-Shot, der östlich des Rheins entstand.