Von Matthias Bosenick (08.11.2022)
So dynamisch, so energetisch: Nur ein Jahr nach ihrem letzten Solo-Album „Lyst“ überrascht Jomi mit einem neuen Mini-Album, das es physisch ausschließlich als 10“ gibt, mit Klappcover sogar. Sechs Songs mit Jazzgrundierung, die erste Seite mit knallenden Klein-Chören, kraftvollen Bläsern – und einem Noiserockhintergrund, den die Kopenhagenerin auch in einem eher rockuntypischen Gewand nicht verbergen kann. Die zweite Seite ist etwas ruhiger als die erste und ebenso bemerkenswert arrangiert; „Querfeldein“ also. „Skråt over marken“ sind sechs neue Lieblingslieder.
Das a cappella startende Titelstück saugt die Hörenden förmlich in dieses Mini-Album ein, erst singt Jomi allein, dann kracht ein Chor dazu, zarte Ambient-Flächen bedecken den Hintergrund, zum Schluss schweben federleichte Bläser wie herbstbunte Blätter verwirbelt vom Baum herab. Wenn der zweite Song „Jordslået kærlighed“ beginnt, fühlt man sich an die Brass-Version eines Stücks von Rage Against The Machine erinnert: Die Bass-Saxophone drücken rhythmisch, die Singenden singen ausgelassen, im Song sind dezidierte Breaks gesetzt, alles groovt, das hat Schmiss, Wucht, und das, obwohl es von „zerstörter Liebe“ erzählt, das muss bestimmt ein Befreiungsschlag gewesen sein.
So quasi-heavy sind die anderen fünf Stücke zwar nicht, aber nicht weniger dynamisch, was insbesondere an den Blasinstrumenten und den Sängern liegt. Das psychedelische „Igen & igen“ etwa hat etwas von einem verträumten, sommerlichen Chanson der Sechziger, wenn die Bläser und die Sänger umeinanderflirren und Jomi repetetiv den Titel Wirklichkeit sein lässt, „wieder und wieder“. Abermals psychedelisch setzt Jomi anschließend auch die Flöten in „Det ukendte kender vi alle“ ein. Auf der zweiten Seite fährt Jomi zwar das Opulente herunter, behält ihre Experimentierfreude aber bei.
Dieses halbe Dutzend Preziosen belegt, was für eine großartige Komponistin und Arrangeurin Jomi ist. Jedes dieser Stücke hat eine schier unendliche Tiefe an Details, Stimmungen und Brüchen, und auch, wenn die maßgebliche Instrumentierung als erstes an den Jazz denken lässt, spielt fast immer eine Rockband mit. Und aus dem Rock, dem in Dänemark Støjrock genannten Noiserock gar, kommt Jomi ja nun, seit den Neunzigern bei Speaker Bite Me und mit ihren experimentellen Solo-Alben sowieso schon immer offen für Abseitiges.
Dieses Abseitige kanalisiert Jomi auf dieser 10“ auf eine eher harmonische Weise als früher, auch wenn sie Dissonanzen zulässt, denn ohne diese Dissonanzen wären diese sechs Songs unvollständig. So darf, nein: muss der Gesang im ansonsten zurückhaltenden „Bølgers buer“ etwa schräg wirken, untermalt von assoziativ eingesetzten Trompeten. Mit einem wiederum kuschelig-watteweichen, also überhaupt nicht dissonanten „Vær alle øjne tro“ entlässt Jomi die Hörenden in den naturtrüben Alltag, da kann man gar nicht anders, als sich die 26 Minuten erneut anzuhören.
Einmal mehr verzichtet Jomi hier auf ihren Zusatz Massage, wie schon auf „Lyst“. Eigentlich heißt sie ja Signe Høirup Wille-Jørgensen, und außer Sängerin ist sie noch viel mehr, Performancekünstlerin etwa. Es lohnt sich zudem, ihren Backkatalog zu plündern, nicht nur mit ihrer Hit-Band Speaker Bite Me, auch die Solo-Alben und Kollaborationen, sowie die Projekte Murmur, Bows und – sofern man es irgendwo findet, dem Rezensenten gelang dies noch nicht – KonoKone. Jomi hat Kraft, in Musik und Gesang, und es ist eine Freude, diese Kraft auf sich wirken zu lassen. Igen og igen og igen.