John Wray – Unter Wölfen – Rowohlt 2024

Von Guido Dörheide (13.08.2024)

Ich habe mir ein Death-T-Shirt gekauft, das Cover-Artwork von „Leprosy“, aber in schwarzweiß, sieht uralt und damit authentisch aus, und ein junger Mann in einem italienischen Restaurant in Göttingen reckte mir spontan zwei Pommesgabeln entgegen, als ich am Eingang stand und darauf wartete, dass der Liebsten, ihrer Tochter und mir ein Sitzplatz zugewiesen wurde. Das hat mich gefreut, und warum habe ich das Teil gekauft? Wegen „Unter Wölfen“ von John Wray. Dieses Buch ist für mich heuer das, was in den 90ern mein „Nick-Hornby-Moment“ gewesen war. Damals war es „High Fidelity“, über das ich las und von dem ich dachte, es könnte mein Lieblingsbuch werden. Was es auch tat und für ganz lange Zeit blieb. Ähnliche Gefühle beschlichen mich vor ein paar Wochen, als ich über „Unter Wölfen“ las. Ich bestellte mir das Buch und war ähnlich begeistert wie vor knapp 30 Jahren von Hornbys Zweitlingswerk. Was schreiben nun also die anderen, was mich so neugierig machte? Nun, zunächst viel Lobenswertes, Kenntnisreiches und Aufgeschlossenes, mit Ausnahme von swr.de: „Black Metal. Megadeth, Anthrax, Slayer oder Hanoi Rocks heißen die einschlägigen Bands.“ Wäh? Dann folgt ein Textauszug und darauf der Kommentar „Diese selbst ziemlich musikalische Beschreibung eigentlich unbeschreiblicher Musik stammt von dem amerikanisch-österreichischen Autor John Wray.“ As zum Teu??? Allein „Black Metal“ – nicht eine der genannten Bands gehört zu diesem Genre und Hanoi Rocks ist nicht einmal Heavy Metal. Was sie nicht schlechter macht. Von denen brauche ich auch noch ein T-Shirt. Und heute (der SWR-Artikel stammt vom 21. Juni 2024) ist Heavy Metal, egal ob Death-, Black-, Thrashmetal oder von mir aus auch Grindcore auch nicht nur ansatzweise irgendwie unbeschreiblich.

Anders war es in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Die Handlung von „Unter Wölfen“ beginnt im Jahr 1987, als Kip nach Venice, Florida, zieht. Zu seiner Großmutter, weil die Mutter nichts von ihm wissen will und der Vater im Gefängnis sitzt. Dort lernt er Leslie X (den Adoptivohn eines aufgeklärten weißen Althippieehepaars) kennen und Kira. Kira Carson mit der Todessehnsucht. Alle drei verbindet die Liebe zum Heavy Metal (wobei Kip eher aus der Huey-Lewis-and-the-News-Richtung kommt, Leslie auch riesengroße Glam-Anteile hat (er wird anfangs beschrieben als so eine Art schwarzer David Bowie, kleidet sich mit Vorliebe höchst glamrockig, hat aber eine Vorliebe für Death Metal und redet mit Vorliebe darüber, wie welcher Gitarrist mit welchem Effektgerät welchen Sound hingebastelt bekommt) und Kira anscheinend die einzige der drei ist, die den wahren Geist des Death Metal so richtig verinnerlicht hat. Gleich zu Anfang der Handlung treffen sich die drei Jugendlichen auf einem frühen Konzert der Death-Metal-Heroen (und nebenbei Erfinder des Technical Death Metal) Death (von denen ich seit neuestem ein T-Shirt besitze) um den jungen Chuck Schuldiner aus Tampa, Florida, das nur wenige Meilen von Venice entfernt liegt. Kip hört bei Leslie das Death-Debüt „Scream Bloody Gore“ (erschienen 1987) und ist nicht einfach nur begeistert: Er versteht die Texte nicht, wird jedoch von der Bösartigkeit dieser Musik ergriffen und stellt sich die Musiker so etwas als drei Meter große wilde Tiere mit rasiermesserscharfen Zähnen vor. Auf dem Konzert stellt er dann fest, dass es sich um unauffällige, hochkonzentrierte und technisch versierte Frickelnerds handelt und Schuldiner auch eigentlich zu gut aussieht, um sich so anhören zu können, wie er sich anhört. Nebenbei werden der Unterschied in der Schreibweise von Executioner und Xecutioner sowie die Bandgeschichten von Deicide (über deren Sänger Glen Benton die Protagonist:innen auch ausgiebig herumspekulieren, sehr informativ und auch sehr unterhaltsam!), Obituary, Possessed, Atheist abgehandelt sowie der Fakt, dass „Kip Norvald“ (Christoper Chanticleer Norvald, wie der junge Protagonist eigentlich heißt) eigentlich kein richtiger Heavy-Metal-Name ist (Kip Winger wird das jetzt nicht wirklich witzig finden). Wobei das auf den Nachnamen ja eigentlich nicht wirklich zutrifft, aber mehr dazu später. Auch Cannibal Corpse – die frühen Cannibal Corpse mit Chris Barnes und den in Deutschland verbotenen Album-Covern – werden ausgiebig erwähnt, ebenso wie das Hubertuskreuz auf den Jägermeister-Etiketten. Jägermeister aus Wolfenbüttel. Unter Wölfen halt.

„Unter Wölfen“ ist in drei Abschnitte unterteilt, „Venice. Death.“, „L.A. Glam“ und „Bergen. Black.“ In Venice lernen Kip, Leslie und Kira sowohl sich als auch den Death Metal kennen. Dann ziehen sie nach Los Angeles, wo es um Glam Metal, Thrash Metal und Lemmy geht. Kip und Kira kommen zusammen, Leslie geht es nicht gut, Kip und Kira fliegen nach Amsterdam, um Mercyful Fate live zu sehen. King Diamond leidet aber an einem Männerschnupfen oder sowas und das Konzert fällt aus, so dass Kip und Kira nach Kopenhagen reisen, Christiania nicht finden, dann weiter nach Berlin und dann wieder zurück. Und das alles um 1990 herum. Leslie verfällt den harten Drogen und Kips und Kiras Beziehung überlebt den Europa-Trip nicht.

Das alles liest sich nicht spaßig, der Schreibstil ist eher kalt und oft hatte ich Probleme, an der Handlung dranzubleiben, unterm Strich aber unterstreicht eben dieser Stil die Handlung auf das Vortrefflichste und als Lesender folgt man gerne diesem wilden Trip aus Roadmovie, Liebesgeschichte und Extreme-Metal-Erläuterungsliteratur. Denn das finde ich auf jeden Fall – John Wray hat Ahnung, von dem, das er schreibt, und nimmt die Lesenden mit. Und zwar so richtig. Das ist mir erst im dritten Teil klar geworden, in dem es die TKKG-Bande, also ich meine die drei Freunde Kip, Kira und Leslie, nach Norwegen verschlägt. Wieso, warum und weshalb will ich jetzt hier mal aus Gründen der Nichtverspoilerung geflissentlich verschweigen, aber auf jeden Fall zieht Kip am Ende mit Samoth von Emperor und Varg Vikernes respektive Count Grishnackh von Burzum herum und zündet tatsächlich eine Kirche an, auch Øystein Aarseth, bekannt als Gitarrist von Mayhem unter dem Namen Euronymous, und sein Osloer Plattenladen Helvete spielen eine Rolle, und während Euronymous ja nun seit über 30 Jahren nicht mehr unter uns weilt, Samoth und Vikernes aber schon, Letzterer als richtig dolle übler Neonazi und Verschwörungstheoretiker, frage ich mich, was die beiden wohl von dem Roman halten mögen, in dem sie – aus wirklich guten Gründen – nicht gut wegkommen.

Ich habe jedenfalls mit „Unter Wölfen“ sehr genossen – „Ich habe mich gut mit dem Roman amisürt“ würde hier echt nicht passen, ich habe ein ums andere mal geweint, gekotzt, gebetet und gehofft, dass das Buch noch lange so weiter geht. Kip Norvald ist trotz oder weil aller mangelnder Selbstkontrolle ein sympathischer Held und wenn er und seine Freunde die Handlung überleben, bin ich glücklich.