Von Matthias Bosenick (05.02.2024)
Mein Teekesselchen zieht über den Himmel, mein Teekesselchen speichert Daten: Aus der sprachlichen Vieldeutigkeit der Cloud macht der anonyme italienische Musiker mit dem Pseudonym Jaufenpass ein Album, auf dem er musikalisch beide Bedeutungen miteinander verwischt. Weitestgehend handelt es sich bei „Cloud’s Eye“ um Ambient. Zumeist ist die Musik abstrakt, Beats gibt es keine, Takte ergeben sich maximal dadurch, dass Jaufenpass die aus der Cloud heruntergeregneten Daten bisweilen hinreichend wiederkehrend loopt, ansonsten besteht das Album aus sanften Drones, warmen Soundscapes, gesampelten Einzeltönen, behutsamen Noises und anderen Verfremdungen. Damit, so das künstlerische Ziel, wird Organisches mit Digitalem in Verbindung gesetzt. Selbst wenn dies beim Hören ohne diese Info nicht klar wird, bekommt man ein kunstvolles Ambient-Album, das entspannt, überrascht und herausfordert.
Über weite Strecken knüpft Jaufenpass aus den Daten, die er aus seiner Cloud holt, sie – teilweise zufällig gesteuert und sich wie Wolken verändernd – digital oder analog behandelt, wieder in die Cloud lädt und abermals herunterlädt, um sie zu verfremden, einen flächigen Teppich, dezent durchsetzt von anderen Sounds. Melodien generiert Jaufenpass nicht, er verzichtet sogar weitgehend darauf, die Töne wenigstens wiederkehrend die Akkorde wechseln zu lassen, wie es beim Ambient nicht selten üblich ist. Auch verzichtet er darauf, die Quellen seiner Sounds erkennbar zu halten: Es sind Töne, die Jaufenpass unterschiedlich verwandelt, sie abstrahiert, und die er neu zusammensetzt, zu Miniaturen, die ihre eigenen Atmosphären ergeben. Diese Töne können, wie in „Cloud #2“, auch mal beinahe schrill sein, wie ein Piano, das sich für ein Glockenspiel hält und meint, einen Horrorfilm mit Suspense-Sounds unterlegen zu müssen, doch in der Regel sind die Sounds verträglich, warm, sogar schön, und das trotz aller Abstraktion.
An mancher Stelle erkennt man, auf welche Weise Jaufenpass zuwege ging. In „Legér“ kann man ermitteln, dass die Töne rückwärts abgespielt sind. Andere tragen einen Glitch in sich, solches lässt sich wohl am ehesten digital generieren. Kurios ist „Lafàvi“ kurz vor Schluss: Da erklingt plötzlich ein Vogelzwitschern, als befände man sich am echten Jaufenpass und betrachte die Wolken. Und im Rauswerfer „Paranoie/Altra“ begleitet ein chillig jazzendes, improvisiertes Blasinstrument die dezenten Glitches, das zunächst an so etwas wie eine Oboe erinnert und bald nach Trompete klingt. Oder Klarinette? In der Bio des Künstlers steht, dass er in jungen Jahren ebenjenes Instrument studierte.
Mehr erfährt man über den Künstler Jaufenpass indes nicht, da hält er sich bedeckt, um mal das von ihm gewählte Wolken-Bild zu verwenden. Aus Italien komme er, gibt er preis, da wundert man sich, dass er vom Südtiroler Jaufenpass den deutschen Namen verwendet, nicht Passo di Monte Giovo, aber so geht es eben zu in Südtirol. Mit etwas Google findet man via casertanews.it heraus, dass der Künstler hinter Jaufenpass Nicola Giuseppe Coppola heißt und aus Caserta kommt, aus der Region Kampanien, also rund 900 Kilometer südlich des Jaufenpasses. Deutlich mehr erfährt man über den Künstler, der das Cover gestaltete: Resli Tale kommt aus Neapel, der Hauptstadt der Region Kampanien, und erstellte mithilfe des Celiometers, einem Instrument, mit dem man Wolken misst, was auch immer das bedeutet, 70 Monotypien, von denen er 25 für das Cover auswählte. Damit ergibt sich ein Gesamtkunstwerk aus Ton und Bild, und wahrhaftig, bei „Cloud’s Eye“ lässt es sich leicht von Kunst sprechen.