Von Matthias Bosenick (17.12.2024)
Wer den musikalischen Werdegang von IWKC aka I Will Kill Chita aus Moskau verfolgte, hat eine Ahnung davon, wie unvorhersehbar vielseitig der Sound der Band ist – und ist trotzdem unvorbereitet auf deren neues Album „Misha“. Das befasst sich instrumental mit dem Thema Bärigkeit, daher der Titel, der an das russische Nationaltier gemahnt, und deckt, auch dank mannigfacher Unterstützung durch zahllose befreundete Musizierende, von Funk über Crossover, Jazz und Synthiepop bis Dub und Trance die breitestmögliche Palette an Genres ab, ohne dabei den Faden zu verlieren. „Misha“ knallt derbe rein. Bärig!
Gleich der Opener ist das Titellied, das sich mit der genannten Bärigkeit, Mishkovost‘, auseinandersetzt: Mit einem funky Bass, Scratches und bläserbefeuerten energetischen Tanzbeats steppt der Bär auf dem Tanzflur. Die ausgelassene Party startet, schon beim Zuhören wirft man die Arme in die Luft und zappelt durch die Bude. In „Tonight“ begleiten die wortlosen Frauenchöre den bläsergetriebenen, dennoch etwas zurückgenommeneren Kopfnickertrack, auf den das jazzige „Hydrophonic“ folgt, das auf einem Hip-Hop-Beat basiert.
In der ersten Vorab-Single „MCPD“ – mit meinem Freund Anton Kitaev vom Label als Covermodel! – geht’s dann richtig zur Sache: Dieser trötenschwere ausgebremste Headbanger ist dem „Moscow City Police Department“ gewidmet, „mit dem jeder seine eigenen Erfahrungen und Meinungen verbindet“, so die band in der Info. Die Schwere bleibt in „Reboot“ erhalten, addiert zu einem Achtziger-Synthiepop-Rhythmus und garniert mit männlicher Stimme. „Holier Than You“ bremst das Tempo zunächst aus, deutet einen Dub an und wird dann zu einem ausgelassenen Jazzstück. Den Beat greift „Snakes“ auf, entwickelt sich aber zu einer synthiebasierten Schlangenbeschwörung mit orientalischer Melodie. Zurück zum Dub, und dieses Mal ausgeprägter, kehrt – nomen est omen – das Spacige „THC“, und zum Abschluss gibt’s mit „Sex In Space“ einen amtlichen Trance-Dance-Track.
Klingt wild durcheinander? Ist es aber nicht. Den vier Jungs von IWKC gelingt es, die losen Enden stimmig beieinander zu halten. Und das trotz der ausufernden Ausgangslage: Die Tracks entstanden nämlich in Jams, aus denen viele Passagen direkt für das Album erhalten blieben. Das bedeutet auch, dass hier keinerlei Samples zum Einsatz kamen, sondern dass alles live gespielt wurde, auch die Synthies und ganz besonders die vielen Blasinstrumente. Inspiration zogen die Musizierenden aus den roten Spielzeugbären, „die das halbe Land hatte“ und aus denen sie als Kinder Kreativität geschöpft hatten, indem sie Geschichten erfunden, Spiele gespielt oder Comics gezeichnet hatten, und mit dieser Herangehensweise entstand eben auch „Misha“.
Weil es so schön ist, seien hier die Musizierenden aufgeführt: Zunächst das Basis-Quartett IWKC, das in der Besetzung mit der Band Рудольф (Rudolf) deckungsgleich ist: Schlagzeuger und Percussionist Nikita Samarin, die beiden Keyboarder Andrey Silin und Nick Samarin sowie Sänger, DJ und Sampler Alexander „Sasha“ Rtishchev alias Wiklauri. Und dann die Gäste, nicht alle bei allen Tracks, aber so viele, dass die Augen glänzen: Alexander Novikov (Bariton-Saxophon), Ilya Rozenblat (Tenor-Saxophon), Vasiliy Streltsov (Tenor-Saxophon), Ivan Bursov (Tenor-Saxophon), Arkadiy Pikunov (Alt-Saxophon), Diana Akhmetova (Trompete), Ramil Mulikov (Trompete), Leonid Semirukhin (Tuba), Nikolai Anashkin (Posaune), Alexander Soloviev (Harmonica), Vasiliy Mulin (Stimme), Roman Karandaev (Stimme), Dmitriy Kuzovlev (Stimme), Yan Karlin (Stimme), Katya Rekk (Stimme), Polina Voloshina (Stimme), Ivan Khvorostukhin (DJ), Mikhail Ivanov (Bass) und Victor Tikhonov (Percussion). Diese Heerscharen an grandiosen Instrumentalisten und Singenden als Netzwerk zu haben, auch abseits von Projekten wie DEEBBBB oder so, ist ja schon Geschenk genug, und dann mit ihnen auch noch so ein fabelhaftes Album zu generieren, dem der Spaß am gemeinsamen Musizieren aus jeder Sequenz entströmt, das ist ein Geschenk an die Hörenden. Bärfekt!