Von Matthias Bosenick (08.07.2016)
Ach ja, da war ja noch was: An sich ist „High-Rise“ gar nicht so übel, aber kaum kommt man aus dem Kino, hat man den Film schon vergessen. Das liegt zum einen an den wenig Identifikation stiftenden Figuren und zum anderen an der Erzählweise, die nach der Einführung der Thematik den interessantesten Teil im Schnellverfahren durchhudelt und sich dann auf die plakativen Standards Sex und Gewalt konzentriert. „High-Rise“ ist eine Gesellschaftsanalyse, die recht treffend ist, aber ein immanentes Schulterzucken transportiert, das der unterstellten Intention entgegenwirkt. Man kann auch sagen: „High-Rise“ ist das längste Musikvideo, das Portishead je gemacht haben.
Die Grundkonstellation klingt wie „Snowpiercer“ im Hochhaus, das Ergebnis entspricht dem aber ganz und gar nicht: Hier sind die unterschiedlichen Bevölkerungsschichten nach Wohnhöhe im Wolkenkratzer verteilt. Je weiter oben jemand wohnt, desto besser steht er gesellschaftlich da. Die unteren Bewohner sorgen für Stromschwankungen und Müllverstopfungen, Konflikte mit weiter oben sind vorprogrammiert. So weit, so gesellschaftskritisch. Doch was im filmisch grauseligen, inhaltlich guten „Snowpiercer“ zum brutalen Klassenkampf von ganz hinten bis zum Lokführer ausartet, wird in „High-Rise“ darüber ausgefochten, wer die bessere Party veranstaltet: Proletariat oder Upper Class. Blut, Gewalt, Zerstörung und Sex gibt’s nebenbei trotzdem, aber es hat nichts Bedrohliches, es bleibt Kulisse.
Nun ja, der Roman von 1975 galt als unverfilmbar, und nur, weil jemand etwas Unverfilmbares verfilmt, heißt das nicht, dass es dann automatisch als verfilmbar gelten muss. „High-Rise“ ist ganz hübsch geworden, mit freakigen Leuten in Siebziger-Outfits, optisch von der Handlung ablenkenden Detailaufnahmen, die der Ästhetik eine unmainstreamige Komponente hinzufügen, und einem unkonventionellen Soundtrack. Immerhin, wo andere ihre Filmästhetik mit einer stupiden Handlung anreichern, bedient sich Ben Wheatley des auch im Film relevanten Kaleidoskops, um die für sich schon eindrucksvollen Bilder ohne eine oberflächlich stringente Aufeinanderfolge zusammenzumontieren. Damit ist die These, „The Neon Demon“ von Nicolas Winding Refn hätte ganz ohne Handlung besser funktioniert, leider von der Hand gewischt. Denn „High-Rise“ lässt es an Handlung vermissen und bleibt dem Betrachter damit gleichgültig. Vielleicht ist hier aber auch lediglich die Ästhetik trotz allem nicht ausreichend nachhaltig.
Man kann zwei Figuren ausmachen, die sich charakterlich diametral gegenüberstehen: den konturlosen Involvierten Laing, der ungehindert zwischen den Schichten umhergleitet und wohl selbst in der Mitte anzusiedeln ist, und den Unterklasse-Filmemacher Wilder, der triebgesteuert zu den Aufrührern gehört und die trotz allen Egoismus‘ wohl nachvollziehbarste Motivation zeigt. Ein paar schwarzhumorig-zynische Gags reichern das Tableau an. Und das exklusive Stück von Portishead: In seiner ganzen Pracht bettet Wheatley „SOS“ ein, die Coverversion des Abba-Hits, den er zuvor schon von einem Orchester intonieren lässt. Das ist fein und so düster, wie es der Film sein will.
Tja, und dann ist einem alles egal. Die Grundkonstellation ist noch sehr spannend, die Revolution erzählt Whitley dann allerdings in einer Art Zeitraffer-Zusammenfassung, um dann bei der hedonistischen Party wieder anzusetzen, bevor der Hochhausarchitekt sein Gesellschaftsexperiment zwangsläufig als gescheitert betrachten muss. Ein Attribut, das man auf den Film übertragen kann.