Von Guido Dörheide (26.03.2025)
Er nu wieder: Nicht mal ein Jahr nach „Tammo – Wunderkind wider Willen“ erscheint Helmut Exners 22. Band aus der Fräulein-Lilly-Höschen-Reihe. Die pensionierte Lehrkraft aus Lautenthal muss mittlerweile 92 Jahre alt sein, ist, wie der Autor im vorliegenden Band selber feststellt, nicht totzukriegen und mischt sich nach wie vor in alles ein, was auch nur entfernt nach einem spannenden Kriminalfall riecht.
Einen neuen Exner-Krimi zu lesen ist immer wie Nach-Hause-Kommen, und wenn das Zuhause, so wie das des Rezensenten, im Oberharz liegt, passt das umso mehr: Die Orte, in diesem Fall vorwiegend meine selbstgewählte Heimat Clausthal-Zellerfeld, werden charmant und kenntnisreich beschrieben, die handelnden Charaktere werden zwar oft kurz und knapp, aber immer liebenswert und treffend vor- und dargestellt, die Handlung wird den Lesenden temporeich, lebendig und ohne ausschmückenden Schnickschnack um die Ohren geschlagen und es mangelt vor allem nicht an Humor.
Wie immer bei Exner dürfen sich die Lesenden von der humorvollen und leichten Art, in der der Roman geschrieben ist, nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass die dargebotenen Themen durchaus ernst und mitunter belastend sind: Sexuelle Gewalt, deren Vertuschung durch die Täter und Selbstjustiz sind die Dinge, von denen „Lilly und der Racheengel“ handelt. Und wie immer gelingt Helmut Exner der Spagat, abscheuliche Kriminalverbrechen abzuhandeln und dabei das Menschliche und das Charmant-Skurrile nicht aus den Augen zu verlieren.
Dafür sorgt gleich zu Anfang Rita Sauschläger, ein derbes Clausthal-Zellerfelder Original, bekannt und beliebt unter anderem aus „Sauschlägers Paradies“ und „Sauschlägers Jammertal“, die sich von einer Verwandten beim Juwelenkauf übers Ohr hauen lässt und dieser daraufhin unter im Oberharzer Dialekt formulierten Beschimpfungen mit einem Hammer die Schaufensterscheibe einschlägt. Ritas Sohn Kevin, der tatsächlich einzige Hochbegabte aus der sympathischen Sauschläger-Familie, kehrt zurück nach CLZ und bandelt dort erneut mit seiner großen Internatsliebe Miriam an, die er zuvor aus den Augen verloren hatte. Dann wird Miriam ermordet und die sagenhafte Exner-Maschinerie kommt ans Laufen: Im Sekundentakt präsentiert Helmut Exner neue Handelnde und zieht eine handlungstechnische Finte nach der anderem aus dem Ärmel (jahaa – ich weiß, dass man Finten normalerweise nicht aus dem Ärmel zieht, aber hier gelten eigene Gesetze, nämlich die des Oberharzes), was die Geschichte spannend macht und in hoher Geschwindigkeit am Laufen hält. Schnell wird den Lesenden klar, auf welche Opfer-Täter-Konstellation es eventuell hinauslaufen könnte, aber der Weg dahin ist wie bei Exner üblich ein Parforceritt mit dem sprichwörtlichen Lada Niva (ein von den Niedersächsischen Landesforsten neben den Erzeugnissen der Firma Subaru überaus geschätztes Geländefahrzeug) über steinige, von Baumstümpfen gesäumte Waldwege im Oberharz. Und diese Wege sind gepflastert mit Namen. Namen, die sich Lilly Höschen nur schwer merken kann. Und so bleiben die lokalen Kommissar:innen Sperling und Hahn dann eben Herr Specht und Frau Huhn, aus der hannöverschen Kollegin Ina Lederhos-Zappel wird „Frau Zappelhose“, die Staatsanwältin Hökenschnieder (von Fräulein Höschen selbstverständlich stets als „Hökenschniedel“ angeredet) macht aus dem Sperling einen „Sperber“, der dann irgendwann zum „Sperberling“ mutiert. Der schwäbische Polizeikollege heißt Pfleiderer und muss sich fortwährend dafür rechtfertigen, dass er keinen Kollegen namens Häberle bei sich führt. Zur Verwunderung der Lesenden wird dann noch eine Oberkommissarin Isabella Backpfeif eingeführt, und zwar komplett unkommentiert und ohne weitere Verkalauerung. Aber mal ohne Scheiß: Die ständigen Namenswitze, mit denen sich Exner über eine der höchsten journalistischen Regeln („no jokes with names“) hinwegsetzt, wirken niemals deplatziert, sorgen immer für Lacher, eigentlich wartet man am Ende sogar auf mehr davon, und sie werden vor allem nie so überstrapaziert, dass die Handlung darunter leiden würde. Jokes with names kann Helmut Exner wie kaum ein anderer, Reschpekt und Chapeau!
Und so endet dann der neue Lilly-Höschen-Roman mit der Überführung der/des Schuldigen und dem verdienten Triumph der Rita Sauschläger über die „alberne Büttner-Hannel“ und vor allem der Hoffnung, dass es bald wieder einen neuen Fall für die Miss Marple des Harzes gibt.
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