Von Matthias Bosenick (28.08.2018)
Abseits der seit 29 Jahren heißverhökerten Ostalgie gibt es in Sachen DDR noch so einiges aufzuarbeiten: etwa die Situation, wenn man herausfindet, dass sich ein Vertrauter als Stasi-Spitzel entpuppt. Andreas Dresens neuer Film „Gundermann“ erzählt davon aus der Sicht des real existierenden Sängers Gerhard Gundermann, der zeitgleich Rebell und IM, Täter und Opfer war. Damit richtet der Film zeitgleich den Blick auf ein weiteres Kapitel: die in der Gesamtrepublik verschwundene Kultur der DDR – von der Band Gundermann & Seilschaft hat bestimmt noch nicht jeder gehört. Großartiger, wichtiger Film.
Dresen wählte für seine Geschichte eine Struktur, die den Betrachter bis zum ergreifenden Schluss an den Sessel bindet: Im Jahr 1992 sieht sich Gundermann damit konfrontiert, dass ein Bekannter seine Tätigkeiten als IM-Spitzel herausfindet. In Rückblicken erzählt Dresen von den entsprechenden Geschehnissen und in den Liedern ermöglicht er die Inneneinsichten Gundermanns, zu denen der Liedermacher verbal nicht in der Lage ist.
Dabei führt Dresen „Gundi“ Gundermann nicht eben als Sympathen ein: Seine Ignoranz, sein Hochmut seinen Kollegen und seiner einem Mitmusiker ausgespannten Frau Conny gegenüber stoßen ab, zeitgleich rettet er einen Igel vor dem Überfahrenwerden. Dieses Spannungsfeld bleibt über den gesamten Film erhalten: Immer wieder offenbart Gundermann im egoistischen Verhalten eine menschliche Seite; die Ambivalenz macht es angenehm schwer, eine eindeutige Position zu der Figur zu entwickeln. Das Linkische in Gundermanns Gebaren, inklusive Schniefen und Brillehochschieben, lässt den Barden erscheinen, als müsste man ihn ständig in Schutz nehmen, und doch benimmt er sich häufig impulsiv aufbrausend und damit unberechenbar, jedoch niemals aggressiv. Den Posten als IM nimmt er in den Siebzigern an, weil er damit seiner Band Auftritte im West-Ausland ermöglicht; außerdem arbeitet er gelegentlich als Spion. Zeitgleich führt er die Regimevertreter vor, hauptsächlich an seinem Arbeitsplatz im Braunkohletagebau sowie bei Gesprächen mit der SED-Führung. Mit seiner großen Klappe verbaut er sich Möglichkeiten, die er als IM gehabt hätte. Das Gute im Fragwürdigen.
Nach der gewaltlosen Revolution namens Wende enttarnt ihn ein Mitkünstler und stellt ihn zur Rede, die Gundermann jedoch blockt. Auf Anraten seiner Frau offenbart er sich zwar seinen anderen Freunden und Musikern, lässt aber Diskussionen und Hintergrundinfos nicht zu; er habe vergessen, was er der Stasi alles erzählt habe, und möglicherweise trifft dieser Verdrängungseffekt sogar zu. Gundermann zeigt bei der Offenbarung gleichzeitig Verschlossenheit und Charakter, indem er der Begegnung zwar nicht aus dem Weg geht, dem Gespräch aber schon. Dabei muss Gundermann erkennen, dass er selbst natürlich ebenfalls ausspioniert wurde, von einem Freund sogar; selbst Opfer zu sein als Täter, ist für Gundermann schwer tragbar.
Nach einem öffentlichen Outing als IM ist es nun an seinem Umfeld, Position zu beziehen: Kann man weiter mit einem Spitzel musizieren, kann man als Publikum seine Lieder noch mitsingen? Mit dieser Konfrontation verlässt man den Saal, ohne ein konkretes Urteil von Seiten des Films selbst.
Man erkennt Schauspieler Alexander Scheer als Gunderman kaum wieder: Noch vor 19 Jahren spielte er die Hauptfigur Micha in „Sonnenallee“. Seine Leistung als Gundermann übertrumpft er noch damit, dass er die Lieder selbst singt. Überdies ist die Musik überraschend fein arrangiert; im Film stammt sie von der Band von Gisbert zu Knyphausen, einem Ziehsohn im Geiste. Die Lieder tragen eine recht deutliche DDR-Signatur, so stellt man sich als Wessi die Liedermacher und Popsänger des Ostens vor. Mit einem gnädigen Lächeln zumeist, aber nicht mit der erforderlichen kulturellen Auseinandersetzung; zu der mag der Film hoffentlich beitragen.
Wie üblich bei Dresens Filmen spielt auch bei „Gundermann“ wieder Axel Prahl mit, der selbst auch schon sammelbare Schallplatten veröffentlichte. In Nebenrollen treten weitere Stars wie Peter Sodann und Bjarne Mädel auf. Dresen punktet nicht nur mit einer ergreifenden Geschichte, sondern bebildert die auch ansehnlich; lediglich bei manchen Dialogen stimmen die Stimmungen in den Anschlüssen nicht, bisweilen wirken Gespräche leicht amateurhaft abgebildet. Aber das ist ein hinnehmbares Manko in diesem wichtigen Film.