Von Guido Dörheide (26.11.2023)
Mit der brandneuen Kritik zum brandneuen Album „Nowhere To Go But Up“ verfasst der Verfasser dieser Zeilen bereits den dritten Artikel in diesem Jahr, der sich mit einem neuen Album von Guided By Voices beschäftigt (dem insgesamt 39. seit 1987, also GbV-Album, nicht Krautnick-Artikel). Aber ist es wirklich eine Kritik, wenn jemand über eine Band schreibt, von der er noch nie etwas wirklich schlecht fand? Gehen wir bei und finden wir es heraus, vielleicht entpuppt sich das neue Werk ja auch als der größte Scheiß, den Robert Pollard aus Dayton/Ohio in seiner bereits endlosen und nicht enden wollenden Karriere abgeliefert hat. Bei meiner Internetrecherche nach Rezensionen habe ich sogar auf Anhieb eine gefunden, bei der das Album als ziemliche Enttäuschung – vor allem im Vergleich mit dem Vorgänger „Welshpool Frillies“ aus dem Juli dieses Jahres – eingeordnet wurde. O haue ha.
Da wir hier bei krautnick.de sind und nicht bei der Spanischen Inquisition (was wohl auch niemand erwartet hätte), spannen wir niemanden auf die Folter und nehmen das Ergebnis einfach mal vorweg: Nein, tut es nicht. Also sich als der größte Scheiß usw. entpuppen. Ich gebe zu, dass es Jahre gab, in denen mich neue GbV-Alben so ein Mittelding zwischen nervten und langweilten, aber diese Zeiten sind spätestens seit der zweiten Reunion im Jahr 2016 vorbei, der nur ein zweijähriges Nichtbestehen der Band vorausging (für eine so kurze Veröffentlichungspause lösen sich andere Bands nicht einmal auf, sondern sprechen schlicht von einer im Interesse des künftigen kreativen Outputs dringend notwendigen Umbesetzung). Ich hatte damals das Interesse an der Band weitgehend verloren und sprang dann mehr lustlos als alles andere wieder auf den Zug derer, die eisern jedes neue GbV-Album durchhören, auf und meine Begeisterung wächst seit dem mit jeder neuen Veröffentlichung.
So auch mit „Nowhere To Go But Up“: Was mir zuerst gefällt und mich auch gleichermaßen neugierig auf die Umsetzung macht, ist, dass die GbV-typischen ca. 40 Minuten Spielzeit (38:39 sind es in diesem konkreten Fall) mit nur 11 Titeln erreicht werden, es also keine weniger als zwei Minuten langen Songfragmente – wie sonst nicht unüblich – zu geben scheint.
Dieser sich anhand der Papierform aufdrängende Eindruck bestätigt sich beim Hören: 11 Songs, alle zwischen zwei und fünf Minuten lang, warten auf die Hörenden. In Erwartung des typischen GbV-LoFi-Geschrammels gehe ich dann beim ersten Hören des ersten Stücks, „The Race Is On, The King Is Dead“, vor Überraschung in die Knie: Satt und voll, um nicht zu sagen überaus basslastig, und untermalt von Glockengeläut stimmen zunächst die Gitarren (neben dem erwähnten Robert Pollard bereits seit den späten 90ern von Doug Gillard bedient) und der Bass (Mark Shue) eine schöne, einem eingängigen Kinderlied alle Ehre machen würdende Melodie an, und Kevin March, GbV-Drummer seit 2002, trommelt stoisch einen schleppenden Beat dazu, der trotz aller offensichtlichen Verschlurftheit (nicht zu verwechseln mit Verschlumpftheit) ein ums andere Mal durch einen routiniert hingehauenen Wirbel aufgelockert wird. Wie bereits bei den letzten Veröffentlichungen von Guided By Voices nehme ich begrüßend zur Kenntnis, dass Robert Pollards Stimme wieder einmal oder immer noch ganz hervorragend altert, nichts an ihrer Unverwechselbarkeit einbüßt, dabei aber immer angenehmer und besser zur Musik passend wird.
Auch das nachfolgende „Puncher’s Parade“ (ich glaube, der Apostroph ist OK, wenn es sich bei „Puncher“ um einen Eigennamen handelt, und schließlich war Pollard früher mal Lehrer (wie mein Freund der Lehrer, den ich aber diesbezüglich nicht fragen kann, da er nur Deutsch, Politik und Werte & Normen unterrichtet), er muss es also wissen.) tutet in dasselbe Horn: Die Gitarren entfachen ein in sich vergniedeltes Indie-Riff-Gefrickel, das nur auf den ersten Blick LoFi ist und ansonsten sehr sophisticated, sich aber dennoch wie aus der Hüfte geschüttelt anhörend geschmeidig um den Gesang Pollards schmiegt wie eine zweite Haut. Was besser ist als eine Trommel, die immer auf die Zwei haut. Wobei Kevin March sowas ohnehin niemals passieren würde.
Wenn ich jetzt beim Hören immer wieder zwischen „Nowhere To Go But Up“ und „Welshpool Frillies“ hin- und herspringe, stelle ich fest, dass es eigentlich gar nicht so viele Unterschiede im Sound gibt, dennoch klingt „Nowhere To Go But Up“ wärmer, voller, erwachsener. Was ich feiere. Auch wenn ich jetzt echt nicht weiß, wie die das machen.
Ich freue mich auf jeden Fall auf die nächsten GbV-Alben, die sicherlich innert weniger Monate in den Regalen der Tonträgerverkäufer unseres Vertrauens stehen werden.