Von Matthias Bosenick (06.10.2013)
„Gravity“ ist der erste Hollywoodfilm seit Ewigkeiten, der so richtig und umfassend begeistert, und der einen speziellen Fakt umso nachdrücklicher deutlich macht: welcher haarsträubende Scheiß in Hollywood nämlich für extrem viel Geld ansonsten so produziert wird. „Gravity“ sticht solitär aus der Masse bestenfalls halbgarer Ideen heraus. Dabei ist die Grundidee so simpel, dass man sich wundert, warum es den Film nicht längst schon gibt: Zwei Astronauten versuchen nach einer technischen Katastrophe, lebend zur Erde zurückzukehren. Mehr nicht. Wie aber Cuarón das Ganze filmisch umsetzte, setzt Maßstäbe. Dafür wurden Special Effects erfunden. Und das war sicherlich auch der Grund, warum der Film erst 2013 herauskam: Die Technik war noch nicht so weit.
Wenn man sich während des Filmguckens fragt, wie „sie“ „das“ denn gemacht haben, wenn man vor Staunen den Mund nicht zubekommt, und wenn man diese Gedanken schon bald wieder vergisst, weil es einfach zu schön und zu spannend wird, um etwas anderes im Bewusstsein zu haben als die umwerfende Mischung aus Ästhetik und Suspense, und wenn man sich wünscht, dass der Film niemals endet, weil er den Betrachter schlichtweg mitreißt ins lebensfeindliche Weltall, dann – hat jemand wohl etwas richtig gemacht. Von Anfang an überwältigt das, was man sieht und hört: Die Kamera rotiert um das Geschehen, das daraus besteht, dass zwei Astronauten an einer Raumfähre herumbasteln und ein weiterer mit einem Jetpack um sie herumkreist. Minutenlang ohne Schnitt. Und was die Kamera alles macht: Einmal nähert sie sich der Astronautin, man hört ihre Stimme über Funk, man nähert sich ihrem Helm, gleitet durch das Glas, nimmt den Platz neben ihrem Kopf ein und hört ihre Stimme direkt, dann gleitet die Kamera wieder zurück ins All. Die Erde wechselt mit der Kamera ständig die Position. Umwerfende filmische Schönheit fängt den Betrachter ein, und das auch noch in unaufdringlichem 3D.
Die Katastrophe nähert sich langsam: Houston meldet, dass „die Russen“ einen eigenen, veralteten Satelliten abschossen haben und dass dessen Trümmer um die Erde rasen, das Raumschiff aber nicht bedrohen. Und plötzlich meldet Houston doch die Bedrohung. Einer Kettenreaktion zufolge vergrößert sich der Trümmerschwarm und zerfetzt auch die Raumfähre. Es überleben lediglich Astronautin Ryan und Astronaut Matt. Weil durch die zerstörten Satelliten der Funkkontakt zu Houston abreißt, versuchen die beiden, sich auf eigene Faust zu retten. Es bleibt nun aber nicht bei einer Katastrophe, zumal der Trümmerschwarm alle anderthalb Stunden die Position der Schiffbrüchigen erreicht und auch die rettenden Inseln bedroht.
Die beiden Figuren bekommen zwar eine leichte – ja, klischeehafte – Tiefe, entwickeln ihre Charakterstärke aber vielmehr mit ihren Handlungen. George Clooney spielt dabei eher sich selbst und bringt ein bisschen Humor ein, Sandra Bullock hingegen überrascht als Schauspielerin, die mehr kann als ihre gewohnten Stereotypen. Ihre Filmfigur ist diejenige, auf die es zuletzt ankommt, und wie diese eigentlich hoffnungslose Frau angesichts der Katastrophe nicht nur Lebensmut, sondern auch Ripley-artig Strategien entwickelt, ist vorbildlich.
Bild und Ton gehen eine überwältigende Symbiose ein. Cuarón weiß, wie er Stille und anschwellenden Lärm angepasst an die Ereignisse zwischen Action und Entspannung einzusetzen hat, um das Geschehen noch intensiver wirken zu lassen. Dabei ist er zwar nicht ganz so konsequent wie Stanley Kubrick in „2001“, denn wie er auch im Vorspann sagt, gibt es im Weltall keine Geräusche, lässt er aber dennoch welche erschallen. Als Kontrastmittel ist das aber absolut entschuldbar. Ebenso wie so manche andere physikalische Schwäche den Gesamtgenuss nicht trüben kann – das gelingt nicht jeder ernstzunehmenden Geschichte.
Obwohl der Film voller Spezialeffekte steckt, zeigt Cuarón nicht jede Katastrophe. Wenn die ISS offenbar ausbrennt, nimmt Ryan das lediglich als heftiges Zittern in ihrer Rettungskapsel wahr. Explosionen sind dennoch genügend zu sehen, daran ist nicht gespart. Die Folge der Ereignisse folgt dabei Murphys Gesetz: Alles, was schiefgehen kann, geht auch schief, und zwar noch schiefer, als man glaubt, und auch dann noch, wenn die Schiffbrüchigen längst gerettet zu sein scheinen. Der Film bedient sich dabei bei klassischen Horrormechanismen, nur mit dem Unterschied, dass die Bedrohung real ist, abgesehen von dem Umstand, dass die wenigsten Filmgucker vermutlich jemals im Weltall sein werden. Wenn dann der Abspann kommt, findet man sich atemlos in den Sitz gedrückt wieder. Und wie bei der Achterbahn will man eigentlich sofort nochmal.