Von Matthias Bosenick (31.01.2024)
Diese Band bekommt ein gutes Dutzend Extrapunkte dafür, dass sie aus Petroșani kommt: In der Stadt hatte der Schreiber dieser Zeilen im Jahr 2017 das Glück, fast eine Woche im Krankenhaus verbringen zu dürfen – mehr Rumänien so nah an Haut und Seele zu erleben, ist kaum möglich. Auch nicht mit diesem Album: Hier schreit alles Klischee, vom Bandnamen Gothic über den Albumtitel „Underground“ bis zur Musik, die Lesern des Gruftmagazins Sonic Seducer in ihrer plakativen Eingängigkeit und der Abhandlung von Stereotypen in den Genres Gothic, Metal und Gothic Metal mit sinfonischem Einschlag und schlageresken Strukturen wohl richtig gut gefallen dürfte. Aber egal, das Quartett kommt aus Petroșani, singt auf Rumänisch und macht ihre Sache ja auch gar nicht so schlecht – denn es steckt mehr drin, als es den oberflächlichen Anschein hat.
„Underground“ ist verkaufsfördernd konzipiert für Bereiche, in denen Bands wie Santiano, Mono Inc., Nightwish oder Lord Of The Lost gefeiert werden. Ja, man kann von Mainstream reden, nicht nur, weil Bands dieser Art im ZDF-Fernsehgarten oder beim Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne auftreten – Musik wie diese bekommt auf Düster-und-Dunkel-Veranstaltungen bis hin zum M’era-Luna-Festival ein großes Ohrenmerk und die breite Zuschauermenge glaubt, dass das hier klassische Gruftmusik sei. Ist sie nicht, sie funktioniert einfach nur gut, weil die Band die Stellräder beherrscht.
Hier ist einem alles vertraut, jeder Akkordwechsel, jedes Zwischenspiel, jedes Riff, jedes Break, jeder Hintergrundchor und jede Synthiefanfare. Bei genauerer Betrachtung fällt indes auf, dass die Band an einigen Stellen metalmäßig groovegesteuert losbrettert wie beispielsweise eine südamerikanische Thrashkapelle, das steht den großen pathetischen Gesten gut und holt das Empfinden beim Hören zurück auf den Boden. Manche Gitarrensoli erinnern wiederum an klassischen Power Metal, das hätte man weder im Gothic noch im Thrash so erwartet. Dazu streut die Band Elemente ein, etwa ein Spinett, Streicher oder eine Kirchenorgel, was zwar typisch für den Gruftkontext sein mag, hier aber angenehm überrascht. Aus der Erkenntnis über die heterogene Summe der einzelnen Teile ergibt sich dann ein Respekt für die unerwartete Mischung, die Gothic hier kredenzen. Außerdem singen sie – teils rauh-klar, teils growlend – auf Rumänisch, das ist definitiv ein besonderes Merkmal in dem Genre.
Dafür umso weniger ungewöhnlich für eine Band, die aus Rumänien kommt, genauer: aus den transsylvanischen Karpaten in Siebenbürgen, aus der Kohlestadt Petroșani, gut 31.000 Einwohner, umringt von Bergen, Bären und Wölfen. Von Vampiren sicherlich auch, es ist davon auszugehen, dass die im Kulturgut auch der Band Gothic vorkommen. Diese Band gründete sich 1992, veröffentlichte ihr Doom-Metal-Debüt „Touch Of Eternity“ 1997 und den Nachfolger „Expect The Worst“ erst 2013, erfuhr diverse Umbesetzungen und bringt nun nach sieben Jahren Pause seit dem Vorgänger mit dem programmatischen Titel „Demons“ mit „Underground“ ihr erst viertes Album heraus. Bandgründer sowie Sänger und Gitarrist Alin Petruț tobte sich 2004 mit dem Belgischen Projekt InnerFire aus und kehrte laut Info für „Underground“ zu seiner Stammkapelle zurück; er muss also nach „Demons“ kurzzeitig ausgestiegen sein. Bassist Csaba „Taly“ Talpai gestaltete auch das Cover. Mit Alin Alexandru sitzt ein neues Bandmitglied am Schlagzeug, ebenfalls neu dabei sind die gleich zwei Gitarristen mit den gleich zwei identischen Vornamen, Bogdan Bălașa und Bogdan Băncilă.
Da nicht nur bei der Band, sondern auch weltweit seit „Demons“ eine Menge passiert ist, schlägt sich das globale Elend auch in den Texten nieder, sagt Bandkopf Petruț in der Info. In der Tat, „Underground“ erfüllt zwar funktional die Anforderungen an diese Sorte breitenwirksamer Gothic-Metal-Musik, lässt seine Aggressionen und seine Wut aber nicht verleugnen. Es gibt mehr als nur die Herkunft Petroșani, was dieses Album hörbar macht.