Von Matthias Bosenick (21.06.2016)
Magma ganich glaum, dass sich Gojira von Album zu Album weiterbewegen. Zwar benennt die französische Metalband ihr sechstes Album nach der wichtigsten französischen Progband, doch nimmt sie den Proganteil in ihrem Death Metal bedauerlicherweise weit zurück. Noch nie waren Gojira-Songs eines ganzen (hier nicht mal 45-minütigen) Albums so kompakt wie auf „Magma“. Stattdessen arbeiten sie ihre anderen Qualitäten aus: Harmonien, Melodien, Instrumentenbeherrschung, Wucht, Most, Atmosphären, Fingerfertigkeit, Stilmix. Es gibt im zeitgenössischen Metal kaum eine bedeutsamere Band als diese. Das untermauert „Magma“. Punkt.
Die Signatursounds behalten Gojira bei: bestimmte Gitarreneffekte, beim Herunterwischen auf den Saiten erzeugt, den in Kombination aus Bass und Gitarre erzeugten heruntergestimmten Groove, das Achtziger-Tapping, einige Neunziger-Thrashriffs, die zwischengeschalteten Blastbeats, den Wechsel von Klargesang, Grollen und Brüllen, den Hang, aus dem brutalsten Gemetzel mitreißende Hymnen wachsen zu lassen.
Die Progressivität von „Magma“ liegt weniger im Gefrickel im Verlauf der Songs, als eher darin, dass Gojira innerhalb der Stücke den unterschiedlichen Sounds genug Raum geben, um zur Geltung zu kommen. Kein Thrashteil überdauert einen ganzen Track, höchstens das Entspannte reicht mal als Grundstimmung für eine komplette Songlänge. Das macht vor allem die heftigeren die Stücke nachhaltig goutierbar: Man hat sie nicht über, weil dafür einfach zu viel Verschiedenes in ihnen passiert. Hat man etwa Bock auf ordentliche Hackbretter, reicht es nicht, einfach einen konkreten Track anzuskippen, sondern man muss ihn durchhören, und das mehrmals, weil der Most immer unterbrochen wird. Auch die Songs an sich tragen nicht alle dieselbe Farbe. Zwar erkennt man im Ablauf des Albums etwas Gojira-Typisches, das auch schon die Vorgängeralben ausmachte. Man kann damit schlechtestenfalls behaupten, den Hergang nachempfinden zu können; voraussehen kann man ihn aber nie.
Auch nach fast 20 Jahren im Geschäft (für viele sind Gojira noch heute Newcomer) integrieren die Franzosen immer Unerwartetes in ihren Stil. Fast chorartigen Klargesang etwa, atmosphärische Nichtmetal-Soundscapes, zum Ausklang an Mittneunziger-Sepultura erinnerndes Folkloreklimpern. Das ist sehr notwendig, weil es hier andererseits auch viele Passagen gibt, die einem aus den bisherigen Gojira-Alben sehr vertraut sind, nur anders angeordnet. Wobei dieses Mal nicht nur das Progressive, sondern auch das In-die-Fresse dem eher Flächigen gewichen sind. Doch wenn sie zuhauen, dann gewaltig. Gerade die Reduzierung lässt die brutalen Passagen umso wirksamer erscheinen. Man bricht sich überdies auch weniger das Genick als den Knöchel: mehr Hüpfen als Bangen. Und verdammt, Joe Duplantier hat einfach mal eine geile, wechselhafte Stimme.
Sicherlich lassen sich ein paar der vertrauten Ecken und Kanten vermissen. Doch geschehen die neuen relaxteren (noch nicht wirklich poppigen) Gojira im eigenen Sound und damit weitab vom Kitsch, weitab von Standards, weitab von Gefälligkeiten. „Magma“ ist eine Wohlfühlplatte, die Mainstreamhörer dennoch überfordert.
Manche Anbieter, etwa das Label, legen als Bonus eine DVD im Pappschuber dazu: eine Stunde Gojira live bei Rock In Rio im September 2015. Wer die ganzen bisherigen Live-DVDs von Gojira hat, etwa „The Link Alive“, „The Flesh Alive“, die Bonus-DVD von „L’enfant sauvage“ und „Les enfants sauvages“, gewinnt hier nicht wirklich neue Eindrucke von Gojiras ungezügelten Livequalitäten. Immerhin, wie bei „Rush In Rio“ bekommt man auch hier die ausgelassenen Brasilianer zu sehen und kann sich von deren Euphorie anstecken lassen. Und anders als noch auf „Les enfants sauvages“ ist hier mit „Love“ einmal wieder der beste Track vom vergriffenen Debütalbum „Terra Incognita“ vertreten. Was haben Gojira schon viele Hits. Und „Magma“ addiert einige neue dazu.