Von Matthias Bosenick (27.04.2017)
Dieser Film erzählt eine Geschichte, deren Botschaft es ist, keine Botschaft zu brauchen. Grob gesagt. Natürlich stimmt das nicht bis ins Äußerste, aber The Stooges stehen nicht wie andere Bands für eine Ideologie, eine Mythologie oder gar für ein Genre, denn das, wie man sie nachträglich kategorisierte, existierte vor 50 Jahren noch gar nicht, gerade einmal zögerlich die Grundhaltung dahinter. Den Regisseur Jim Jarmusch indes erkennt man in diesem seinem Film zwangsweise nicht am Visuellen, sondern an den kulturellen Querverweisen, die sein Freund Iggy Pop mitbringt. Jarmusch kreiert eine Musikerdoku, die dem reinen Stil entsagt und damit seiner eigenen Botschaft Folge leistet: Die Geschichte steht über der Mission.
„Gimme Danger“ ist anders als herkömmliche Musikerdokus. Hier geht es nicht um den Längsten, nicht um das üppigste Konto, nicht um den geilsten Absturz, nicht um den größten Einfluss auf andere. Rund um die inzwischen siebzigjährige Person Iggy Pop, die eine natürliche Ausstrahlung mit sich bringt, für die man kein Image generieren muss, lässt Jarmusch die Geschichte der Band The Stooges nacherzählen. Das übernehmen ausschließlich Beteiligte, keine Verehrer; schleimige Lobhudeleien muss man schon mal gar nicht ertragen, das ist eine der vielen Abweichungen vom Herkömmlichen.
Da Jarmusch rechtzeitig damit begann, die Stooges-Mitglieder auszufragen, kommen hier auch sämtliche Verstorbenen zu Wort, und derer sind es mittlerweile viel zu viele. Daher besteht der Film zu weiten Teilen aus Archivaufnahmen, die Jarmusch an Stellen, zu denen er lediglich O-Töne hat, aber keine exakten Bilder, mit artfremden Filmausschnitten versetzt, die inhaltlich passen: historische Straßenszenen, Film- und TV-Aufnahmen, Sequenzen aus „The Three Stooges“ und „Addams Family“ sowie eigens angefertigten Animationen, die bisweilen an Beavis & Butthead erinnern. Da solches Material überwiegend nicht aus Jarmuschs Hand stammt, kann es zwangsweise nicht seine Handschrift tragen, doch ganz zu verbergen ist die gottlob nicht.
Die größte Gemeinsamkeit zwischen Porträtiertem und Porträtierendem ist die kulturelle Verlinkung: Ganz wie Jarmusch seine liebsten Künstler stets in seinen Filmen unterbringt, zu denen immer wieder auch Iggy Pop gehört (in „Coffee And Cigarettes“ und „Dead Man“ persönlich, in „Only Lovers Left Alive“ als Foto an der Wand), hat jener im Kontext der Stooges mit lauter krediblen Musikern zusammengearbeitet. Das Who-Is-Who der Avantgarde kommt hier zur Sprache oder zu Wort: Frühe und reichlich unerwartete Einflüsse für James Osterberg waren etwa John Coltrane und Maceo Parker, spätere Kollaborateure John Cale, Mike Watt, Fred „Sonic“ Smith und die MC5, David Bowie, J Mascis, also lauter Leute, deren Musik man als Stooges-Fan ohne Scham im Plattenregal stehen haben kann. Dazu montiert Jarmusch als Fazit einen kurzen Reigen an Beeinflussten, indem er Plattenhüllen und Livecover mixt, und auch diese Auswahl bezeugt Geschmack; Sonic Youth gelingt ein Stooges-Song indes hörbar besser als den Sex Pistols.
Zur Geschichte: Ausgehend von Iggy Pops Leben als selbsterwirkter Schlagzeugschüler im Wohnwagen, seinen Engagements bei den sein Pseudonym auslösenden Iguanas (der Umstand wird im Film gar nicht aufgelöst) bis hin zur Gründung der Psychedelic Stooges, die erfolgte, um auf Partys sagen zu können, man habe eine Band, erzählen die Beteiligten die chaotische Historie jener Gruppe, die zu Hauptzeiten gerade drei Alben veröffentlichte (und zwei nach der Reunion). Als Motivation gibt Iggy Pop an, nicht so klingen gewollt zu haben wie andere (er versetzt der Industrie deutliche Schläge, von den gecasteten Hippiebands der Sechziger bis heute), und mit seiner Band alles kommunistisch zu teilen. Das berühmte „I wiped out the sixties“ ist dabei einer seiner aussagekräftigen Sätze. Zu mehr Ideologie kommt es kaum, der Rest des Films ist Handlung. Mit Humor. Und Tragik. Das Private des Herrn Osterberg indes klammert Jarmusch aus; man erfährt nichts über das gegenwärtige Leben Iggy Pops, nichts über Wohlstand oder Lebensweise (seine Frau wird kurz bei der stinkefingerbestückten Zeremonie zur Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall Of Fame erwähnt). Man sieht diverse Liveauftritte und Studiosessions, man hört Geschichten zur Entstehung und Rezeption der heute ikonischen Songs, mit denen die Band damals jedoch bald im Elend versank. Bis zur Rehabilitation durch J Mascis und Mike Watt. Und das ist das größte Wunder dieser paradoxen Geschichte: Eigentlich berichtet der Film die ganze Zeit, wie gering bis negativ die Resonanz trotz zunächst gut besuchter Konzerte mit ausgeflipptem Publikum auf die frühen Stooges war, und doch geschieht dies mit der Grundaussage, es mit der größten Rock’n’Roll-Band aller Zeiten zu tun zu haben.
Man muss sich an das Erzähltempo gewöhnen. Obwohl Jarmusch Iggys Solojahre ausklammert, hat er immer noch genügend Stoff, den er in den Film presst. An mancher Stelle fühlt man sich überfordert, doch sobald es tragisch wird, nimmt Jarmusch das Tempo zurück und gibt den Emotionen Raum. Typisch Jarmusch ist überdies die Typographie der Zwischentitel, die er auch schon bei seiner ersten Musikdoku „Year Of The Horse“ über Neil Young And Crazy Horse einsetzte.
Wie oft man sich diesen wilden Ritt namens „Gimme Danger“ fortan geben mag, ist nicht abschätzbar. Der stärkste Eindruck nach dem Abspann ist, es bei Iggy Pop mit einem schelmischen Sympathen zu tun zu haben, dessen Musik und Geschichten man gern hören mag. Und der sich, laut trefflichem Abschlussstatement, nicht als Teil einer Bewegung sehen will: „I just want to be.“