Von Matthias Bosenick (06.06.2018)
Der Vorausdenker hinkt hinterher: So gestrig wie in seinem neuen Comicband „Zwille: The Law returns to Kreuzberg“ war Zeichner Gerhard Seyfried noch nie. Er war seinerzeit stets linker als die taz und nimmt heute teilweise Standpunkte ein, die sein früheres Ich sicherlich als spießig aufgefasst hätte. Angesichts dieses Buches sieht man keinerlei Grund für Seyfried, die zeichnerische Untätigkeit nach acht Jahren Comicpause unterbrechen zu müssen; in seinem jüngsten Buch „Schilderguerilla“ von vor zwei Jahren zeigte er, dass er seinen Humor auch mit neuen gestalterischen Medien transportieren kann (er manipulierte Fotos von Schildern und veränderte so deren Inhalt). Sein Uraltpunk Zwille hätte indes gern in der Versenkung bleiben können, da führte der bereits ein lustiges Leben.
Eine Frage stellt sich nach der Lektüre dieses Buches: Warum fühlte sich Seyfried dazu bemüßigt, überhaupt einen Comic zu veröffentlichen? Ideen dafür hatte er jedenfalls keine. Zumindest keine neuen: „Zwille“ ist ein reines Selbstzitat, direkt und indirekt. Ständig verweist Seyfried auf frühere Bücher und lässt Elemente aus diesen wieder aufleben. Als selbstironische Metaebene funktioniert sein addiertes Comic-Alter-Ego auch nicht mehr; es ist bekannt, dass er mit seinen Büchern diese Form von Erfolg nie hatte, die ihn zum reichen Arschloch hätte mutieren lassen können. Die eingestreute Kritik an Politikern ist oberflächlich und ebenfalls abgefrühstückt; mehr als verballhornte Namen („Schmarotzke“) fällt Seyfried da kaum ein. Und die als Bullen titulierten Mitglieder der Exekutive sind auch immer noch dumm, ja.
Neu ist für den Wahlberliner die Gentrifizierung, die in seinen früheren Büchern zwar inhaltlich, als Begriff und in der heutigen Reichweite noch nicht vorkommen konnte. Neue Witze dazu fallen ihm aber nicht ein, das Thema ist selbst für schenkelklopfende Comedians längst erschöpft. Das zweite brennende Thema sind Graphic Novels, die seit Jahren dem klassischen Comic den Rang ablaufen, zumindest nach Seyfrieds Auffassung. Damit generiert er ein Feindbild in den eigenen Reihen, das keines ist; dahinter steckt allenfalls der Neid, dass frische Künstler mit ihren Arbeiten mehr Aufmerksamkeit und womöglich auch noch Erfolg auf sich ziehen als der Altmeister.
Anstatt dem nun etwas entgegenzusetzen, unterbietet Seyfried aber seinen eigenen Zeichenstil. Aus reinen Skizzen besteht „Zwille“, schlecht übergepinselt und so gut wie nie auf eine Weise ausformuliert, die man aus den Neunziger-Comics kennt, mit den detailverliebten Wimmelpanels. Seyfried macht es sich also in Form und Inhalt einfach. Ach, Inhalt: Eine Geschichte gibt es im Grunde nicht, Zwille braucht eine neue Bleibe, also Geld, und driftet von vielen Seiten in Versuchung geführt durch Berlin.
Schon der noch mit Ziska gestaltete Vorgänger „Kraft durch Freunde“ zeigte Seyfried vor acht Jahren von seiner einfallslosen Seite, „Zwille“ setzt diese unschöne Abwärtsbewegung fort. Mit „Starship Eden“, dem Buch vor „Kraft durch Freunde“, hätte Seyfried seine Karriere als Comiczeichner beenden sollen – das war 1999. Vielleicht ist ihm die gegenwärtige politische Lage einfach zu unübersichtlich; mit ein paar Links-Rechts-Sterotypen ist sie jedenfalls nicht (mehr) so einfach zu fassen zu bekommen. Auch seine Leserschaft geht weiter, so retro ist man trotz dieser komplexen Gegenwart nicht, dass ein reanimierter Held wie Zwille schon für Begeisterungsstürme ausreicht. Ach ja, à propos retro: „Werner“ ist ja auch wieder da. Und dann wettert Seyfried gegen Trends.