Von Guido Dörheide (21.05.2024)
O haue ha, Gatecreeper machen jetzt Melodeath, las ich im Vorfeld der Veröffentlichung von „Dark Superstition“, und der Albumtitel klingt ja tatsächlich so, als könnten wir es hier mit dem Cold Lake oder dem Swansong des sympathischen Quintetts aus Arizona zu tun bekommen. Wie viel Göteborg steckt also in der neuen, dritten Vollelängeveröffentlichung von Gatecreeper, und tun sie sich jetzt irgendwo anders anbiedern, um mehr Tonträger zu verkaufen?
Um es vorweg zu nehmen: Alles gut! Wenn auf „Dark Superstition“ irgendwelcher Göteborg-Melodeath zu hören ist, dann nur, um den Skandinaviern mal zu zeigen, wie man sowas überzeugend gestalten kann. Auf Gatecreeper bin ich tatsächlich erst vor Kurzem aufmerksam geworden, und zwar durch durch die Januar-2022-„Knotfest Death Metal Round Table“ (googelt das mal und genießt es) mit Cannibal-Corpse-Frontmann Corpsegrinder Fisher, Trevor Strnad von The Black Dahlia Murder (in der Tat wohl so ziemlich der letzte Auftritt des sympathischen Sängers vor seinem Selbstmord im Mai desselben Jahres), Alexander Jones von Undeath und eben Chase Mason von Gatecreeper. Genial: Zwei junge Deathmetalsänger (Mason und Jones) unterhalten sich mit einer absoluten Death-Metal-Legende (Fisher) und einem überaus sympathischen Frontmann einer großartigen Band, die sich ebenfalls schon Kultstatus in der Death-Metal-Szene erarbeitet hat (Strnad) über den Death Metal, wie sie dazu gekommen sind und was sie davon halten. Onkel Corpsegrinder erzählt eine um die andere Anekdote aus seinem an Anekdoten nicht eben armen Leben, Chase Mason und Alex Jones himmeln ihn an und erläutern ihren eigenen Bezug zum Death Metal und Erzsympath Trevor Strnad hält alles wie eine große, growlende Klammer zusammen. Tau schöön! Nur, dass Chris Barnes, Fishers Vorgänger bei Cannibal Corpse, derzeitiger Frontmann von „SFU“ (Sachen für Unterwegs) und immerwährender „Steven Seagal des Death Metal“ davon physikalisch krank werde und herumjammert, was denn bloß aus dem Death Metal geworden sei. Mir dagegen wurde warm ums Herz und da ich immer bereit bin, neue Bands ans Herz gewachsen zu kriegen, begann ich mich mit Gatecreeper und Undeath zu beschäftigen.
Und vor allem Gatecreeper wussten mich mit „Sonoran Depravation“ (2016) und „Deserted“ (2019) zu begeistern: Schön klingende und oft sehr doomige Gitarren, ein düster-bollerndes Schlagzeug und vor allem Chase Masons sehr überzeugender Gesangsvortrag, der außer dumpfen Dröhnen auch noch viel Platz für eine einzigartige Stimme übriglässt, weckten viel Freude und sorgten zudem auf der 2021er EP „An Unexpected Reality“ für ein gerüttelt Maß an Überraschung: Dort gab es insgesamt 8 Songs zu hören, deren erste 7 in nicht mal sieben Minuten Spielzeit durch die Boxen rauschten und sich dabei eher das Etikett „Hardcore Punk“ denn irgendwas mit Metal verdienten, inklusive Chase Masons Gesang. Mal Punkgegröhle, mal Metalgegrowle. Verwirrend, zumal das letzte Stück, „Emptiness“, dann gut 11 Minuten dauert und komplett im Doom Metal verhaftet ist, und alles zuvor Gehörte nochmal in den Schatten stellt.
Was können wir also von Gatecreeper Anno 2024 erwarten? Ankündigungsgemäß auf jeden Fall viel Melodie, aber ich höre hier wenig Göteborg, Bullerbü oder sonstwas durch. Die Gitarren sägen und rattern, das Schlagzeug hämmert und Chase Mason klingt ebenso böse wie auf den letzten Gatecreeper-Veröffentlichungen. Eine tolle Band mit einem tollen Sänger. Bereits der Opener „Dead Star“ überzeugt mich vollends von Gatecreepers Qualitäten: Harte Gitarren, authentischer Gesang und dazu ein überzeugendes Songwriting mit tollen Soli mittendrin. Wenn es so weitergeht, ist das Album sein Geld wert.
Mit „Oblivion“ geht es erstmal so weiter: Schnell, mit schönen Bassgeräuschen durchsetzt und von Masons rauher Stimme vorangetrieben. Aber gehen Gatecreeper nicht so langsam die guten Ideen für neue Riffs aus? Nein, tun sie nicht: „The Black Curtain“ wird von einem gotisch anmutenden Riff vorangetrieben, nur dass eben Chase Mason dazu nicht ganz tief wie ein Karl McCoy singt, sondern einfach so tut, als wären wir hier weiterhin im Death Metal. Finde ich sehr gut. „Masterpiece Of Chaos“ ist dann wieder Death Metal, wie ich ihn mir wünsche: Supertollmelodische Riffs, viel Härte, quietschende Geräusche mit den Gitarren und, nee, die Lobhudelei auf Masons überzeugenden Gesang lasse ich jetzt mal weg. Er singt einfach immer super und überzeugend, der Chase-Mason-Typ da am Mikro. „Superstitious Vision“ fängt mit einem „1000 mal schon gehört gehabt“-Riff an und klingt dennoch frisch und authentisch, wie machen die das? „A Chilling Aura“ fängt sogar ausgesprochen langweilig an, so dass ich jauchze und frohlocke und mir sage „Die kochen ja auch nur mit Wasser!“ Ja, aber mit was für einem: Nach dem langweiligen Intro hauen Gatecreeper auf „A Chilling Aura“ ein faszinierendes Riff nach dem anderen raus, und Masons Gesangsleistung wäre selbst dann noch überzeugend, wenn die Musikanten dazu anstelle des hier gebotenen, famosen Death Metal einfach nur Fahrstuhlmetal für mehrstöckige Kaufhäuser zum Besten geben täten.
Weiter geht es mit „Flesh Habit“ – ein toller Bass zur Einstimmung und beinahe schon poppige Gitarrenriffs, und dann wieder ein großartig knurrender Sänger. Und als ob die Band fürchtete, sich zu sehr in Midtempogefilde verirren zu können, folgt anschließend mit „Mistaken For Dead“ ein Song mit Thrash-Tempo, weniger als drei Minuten lang, und danach beschließt „Tears Fall From The Sky“ mit knapp sechs Minuten Spielzeit und doomiger Langsamkeit das Album. Und ohne Scheiß: Ich habe mich auf Alben von ausgewiesenen Doom-Spezialisten wie My Dying Bride oder Candlemass schon mehr gelangweilt als hier. „Mach es ordentlich oder lass es gleich ganz“ scheint das Motto der Band zu sein; egal in welche Stilspielereien innerhalb der extremen Metallmusik sich die Band jemals hineinverirrt, es kommt immer ein überzeugendes Stück Musik heraus.