Fuzziliers – Sail The Seven Seas – Fuzziliers 2024

Von Matthias Bosenick (15.07.2024)

Von einem Autokraten zum nächsten: Auf dem Rückzug vor Wladimir Putin ließen sich russische Musiker ausgerechnet in Istanbul nieder. Kann man so machen. So jedenfalls wurde aus dem freakigen Stoner-Doom-Allesmögliche-Duo Juice Oh Yeah die kaum weniger freakige Gute-Laune-Psychedelik-Pop-Rock-Band Fuzziliers. „Sail The Seven Seas“ ist nach einigen Singles und einer EP das Debütalbum, und das strotzt vor Ideen und guter Laune, ist voll mit psychedelischem Northern Soul oder so. Die Fuzziliers klingen wie alte vertraute Bekannte, dabei können die das ja gar nicht sein. Aber werden!

Es überwältigt, wie voll mit Ideen dieses Album ist. So viele Ideen, dass es sich die Band sogar leisten kann, einige nur kurz anzureißen und die Songs dann wieder mit etwas Anderem fortzusetzen. So viele Details, so viele Einfälle, und dabei noch nicht mal überladen, das Quartett agiert wohldosiert. Die Dunkelheit der Zeiten um Juice Oh Yeah legte der beteiligte Musiker ab, „Sail The Seven Seas“ ist heller, gutgelaunt, und doch nicht oberflächlich. Die Fuzziliers klingen wie alte Bekannte, man hört die Harmonien der Beatles heraus, die psychedelische Komponente von Spiritualized und das Durchgeknallte von Traffic, und doch gab es das in einer solchen Melange wie hier noch nicht.

Voller Energie und Kraft preschen die Fuzziliers los, schmeißen mal die Orgel an, lassen ein andermal ein Piano wild treibend klimpern, singen im Chor und generieren Ohrwürmer und Hits, denen man sich gar nicht entziehen kann. Und auch gar nicht will. Die beschwingte Vorab-Single „This Is Love“ bekommt man nicht mehr aus dem Bewusstsein heraus, in „Never Let You Down“ gibt’s ein Slap-Bass-Solo und einen Samba in einem nicht synthetischen Sound, als wäre man in den Achtzigern festgehalten worden. So richtig deutlich wird der Fuzz aus dem Bandnamen in „Dirty Unicorn“. Schmissige Bläser verleihen „Mention Me“ zusätzlichen Schub. Und das recyclete „Try“ deutet in Richtung Northern Soul.

Recyclet, oder besser: remastert, denn „Try“ war 2021 der erste Song, den die Fuzziliers veröffentlichten. Die nächsten Songs „Ca’t See Me“ und „Tea Song“ bildeten 2023 die Hälfte der EP „Would You Believe“, alles Folgende, nämlich „Lullaby“ und eben „This Is Love“, findet sich auf dem vorliegenden Album. Eine Band wurden die Fuzziliers erst über Zeit, denn ursprünglich sollte es sich dabei um ein Solo-Projekt von Sviatoslav „Slava“ Lobanov (Слава Лобанов) handeln, der künstlerisch schon immer mit einem Bein in seiner Heimat St. Petersburg und mit dem anderen in Istanbul stand, daher lag der Auszug in seine zweite Heimat nahe. In Russland kennt man ihn nicht nur von Juice Oh Yeah, sondern auch als Teil des Duos ПЕРЕУЧЕТ (Pereuchyot), das er mit Rapper Oxxxymiron bildet. In der Türkei hingegen agiert er vielmehr in Jazz, Swing und Dixieland, und es nimmt Wunder, dass man alle drei Ausrichtungen bei den Fuzziliers nicht wirklich wahrnimmt.

Nun verhinderte die Pandemie das Voranschreiten der Aufnahmen für die Fuzziliers, weil auch Live-Darbietungen kaum möglich waren; für diese suchte sich Slobanov, der selbst Gitarre, Bass, Posaune und Synthie spielt, Kollegen zusammen: die Jazzmusiker Semyon Fedotov (Schlagzeug, Percussion, Harmoniegesang) und Misha Paskov (Bass) sowie Georgy Kopylov (Keyboards, Gesang, Songwriting) von der Irish-Folk-Punkband Red Box, so erzählt es Slobanov in der Info. Jener und Letzterer zogen im März 2022 „aus politischen Gründen“ komplett in die Türkei um, Paskov folgte und die Band pausierte zunächst. Bis sie entschied, dunklen Zeiten mit Rockmusik zu begegnen, und das Programm mit Simon Shiriaev (Schlagzeug und Harmoniegesang) von Lollypop Lorry wieder aufnahm.