Von Matthias Bosenick (26.03.2025)
Im Grunde ist „Mechviruses“ eine Werbeplattform für das Electro-EBM-Industrial-Label Artoffact Records und weniger ein sinnfälliges Album von Front Line Assembly, denn haufenweise Label-Acts, die man sich zumeist als Mensch mit einigem Geschmack jenseits von Plakativität nicht anhören würde, remixen und erweitern Tracks des ursprünglich vorrangig instrumentalen Videogame-Soundtracks „WarMech“ aus dem Jahre 2018, also nicht einmal des jüngsten FLA-Albums, schließlich kamen danach sogar noch zwei heraus. Kitsch-Pop mit Wumms kommt zu oft dabei heraus, nur wenige Tracks lassen wirklich auf-, die meisten eher weghorchen. Das ist umso bedauerlicher, da man noch „Echoes“ im Ohr hat, das grandiose Remix-Album zu „Echogenetic“. Aber das war vor zehn Jahren, und auch die jüngsten Studio-Alben der EBM-Mitgestalter aus Vancouver waren bereits eher nicht so prächtig. Also bis auf „WarMech“ alles nach „Echoes“.
Nun gut, bereits „WarMech“ kam bei Artoffact heraus, einem Label, das sich auch vieler verdienter Helden der EBM- und Electro-Szene annimmt, darunter Front 242, aber ansonsten viel zu häufig auf – nun – billigst triggernden Electroschrott setzt. Das hört man den „Mechviruses“ dann leider auch an. Zum Auftakt fügen die Brüsseler Ultra Sunn dem Quasi-Titeltrack „Mechvirus“ noch angenehm wenig Abseitiges hinzu; angenehm in der Rückschau, nachdem man das Album einmal durchhat, denn zunächst befremdet es eher, dass da kaum etwas wahrnehmbar Neues passiert. Aber dann kommen so Hanseln wie Ayria und Sebastian Komor vom gleichnamigen Kommando, die aus demselben Track einen tanzbaren Schlager machen. Oh Graus.
Die Bootblacks aus Brooklyn bringen ihren wavigen Postpunk in „Force Carrier“ unter, indem sie eine gruftig hallende Gitarre in den Dancetrack einbauen, als unendlichen Loop und ohne Variation. Es beatet vor sich hin. Ebenfalls aus New York kommt das Projekt Seeming, das „Molotov“ abermals in den Dancepop rückt, mit Vocoder und einem Anflug von Rap zum epischen, kraftstrotzenden Electro-Downbeat sowie einem himmelsstürmenden Refrain.
Vergleichsweise interessant wird es erstmals mit „Anthropod“ in der Bearbeitung von Deep Infirmaty, also Scott Hamilton vom kanadischen Somnambulist Sound System. Er macht aus dem Stück einen Harsh-Electro-Track mit verfremdetem Kreischgesang zu zerstörter Musik im langsamen Tempo, was zwar an manche der vor zwanzig Jahren in Dunkel-und-Düster-Schuppen beliebten plakativen Vertreter des Harsh Electro erinnert, aber einige Schritte weiter geht, weil kompromissloser und härter, ohne gefällige Anflüge. Also doch mehr wie die Erfinder von Industrial Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger, bloß mit zeitgemäßem Equipment generiert. Vielleicht liegt’s lediglich am Kontrast zum Rest dieses Albums, aber dieser Track verpasst den Anschluss an die Banalität.
Der Texaner Joseph Anger macht unter seinem Alias Mvtant aus „Heatmap“ einen angenehm hörbaren EBM-Track, den er mit dunkler gehaltenem, unaufgeregtem Industrial dafür empfiehlt, die CD nach dem vorherigen Track doch noch nicht gleich wieder auszuschalten. Manche Sounds scheint er direkt dem EBM der Achtziger entnommen und in den modernen Soundkosmos eingebettet zu haben. Zu einer Achtziger-Radio-Ballade mit Wavegitarre und chilliger Melodie im Walzertakt machen Fotocrime aus Kentucky „(Re)Creator“, zwar gefällig und so retro, dass man es bereits zu kennen scheint, aber doch irgendwie nett.
Die Growls und das Geschrei der Finnen von Cardinal Noire inmitten eines hypernervösen EBM-Electro-Tracks mit starker Harsh-Industrial-Note machen „Heatmap“ noch einigermaßen interessant, doch man merkt, dass der Gipfel des Albums bereits überschritten ist. Encephalon, ebenfalls Kanadier, nehmen sich erneut „Molotov“ vor und orientieren sich schnörkellos in Richtung Dancefloor. Bis sie dazu den hymnischen Schlager im männlich-weiblichen Duett erkunden. Zum Schluss des regulären Albums gibt’s nochmal „Molotov“ in der Bearbeitung von gleich drei Parteien: Marty Famine aus Kanada, Lys Morke aus Barcelona sowie Stephen Seto alias S:cage aus Kanada bringen IDM-Glitches und ätherischen Gesang in den Frickeltrack unter. Diese Variante stellt einen versöhnlichen, weil ansprechenden Abschluss des Albums dar. Das ausschließlich in der CD-Version diesen positiven Eindruck mit zwei Versionen des Titeltracks wieder zerstört: „Mechvirus“ einmal nur von Schlager-Ayria und einmal nur vom Ultra Sunn im Instrumental-Remix.
Es ist ja an sich eine geile Idee, ein instrumentales Album von anderen Leuten zu einem Album mit Texten umfunktionieren zu lassen. Das spornt die Kreativität an und erweitert den Kosmos der Originale. Nur: Dieses Original war ein Zweck-Album, nämlich der Soundtrack zu einem Computerspiel, wiederum der Fortsetzung von „AirMech“ aus dem Jahre 2012, zu der FLA ebenfalls den Score lieferten und zu der es keine Remix-Version gibt, aber das nur nebenbei. Ein Zweck-Album also wird zweckentfremdet, das kann spannend werden, wenn man dafür vernünftige, ernstzunehmende Künstler einspannt – und nicht als Label einfach nur einmal quer in seine Karteikästen greift und verpflichtet, wer nicht bei drei im Club verschwunden ist.
Für die Auswahl von „WarMech“ spricht, dass daran seinerzeit noch der verstorbene Jeremy Inkel beteiligt war, und dem trauert FLA-Kopf Bill Leeb spürbar nach. So ist dies quasi ein Requiem, wenn auch eines, das man ihm qualitativ ansprechender gewünscht hätte.