Frank Schäfer – Nötes Of A Dirty Old Fan – Satyr-Verlag 2024

Von Matthias Bosenick (02.11.2024)

Der Heavy Metal hat sich über die Jahrzehnte verändert, erweitert, und das ist gut so. Seit ehedem begleitet der Braunschweiger Szeneprotagonist Frank Schäfer Akteure und Connaisseure des Heavy Metal auf journalistisch-schriftstellerische Weise, und wie das Genre selbst erweitert auch der Autor seine Haltung, und auch das ist gut so. Wie der Heavy Metal lediglich zum Metal wurde, wandelte er sich auch von der sexistischen Machomucke zu Gleichberechtigung, Inklusion und mehr, zu einer anderen, zu einer idealen Gesellschaft gar, und solcherlei Aspekte nimmt Schäfer in seinen neuen gesammelten Beobachtungen auf und stellt sie enzyklopädischen Beiträgen, alltäglichen Blitzlichtbeobachtungen und pommesgabelreckenden Fanboygeschichten an die Seite. Und das mit dem gewohnt souveränen Spagat zwischen Gossen- und Akademikersprache – es ist stets ein Fest, seine Texte zu lesen, egal, wovon sie handeln.

Na klar: Metal ist harte Musik und Bier, ist in Gruppen geteilte Leidenschaft, ist Plattensammeln und Fachsimpeln, ist Matteschütteln und Kuttentragen, ist Coolsein und Abenteuerlust. Das kommt auch alles in diesem Buch vor, wer also einfach nur seine Welt abgebildet finden will, findet sich hier bestens zurecht. Doch sind Schlaglichter dieser Art eher ein Köder dafür, ganz nebenbei den Horizont erweitert zu bekommen, falls das noch nötig ist, oder eben Bestätigung für ein bereits angepasstes Weltbild. Denn in Schäfers Welt ist beispielsweise der am häufigsten zitierte Metalband-Frontmensch weiblich, nämlich Daniela „Dani“ Karrer von der Braunschweiger Institution Headshot. In Schäfers Welt ist die sexuelle Ausrichtung kein Ausschlusskriterium, sobald Musizierende etwa ihre Homosexualität bekanntgeben, herrscht allgemeines Schulterzucken im Publikum, das einfach mit dem betreffenden Menschen weitermoshen will. In Schäfers Welt erfahren Transmenschen Solidarität, insbesondere, nachdem ihnen anderswo das Gegenteil widerfuhr. In Schäfers Welt entspricht es dem Bild von einer „anderen“, ja besseren Gesellschaft, wenn es ein Festival gibt, das Menschen mit Behinderung explizit inkludiert.

Geschickterweise verlegt Schäfer die Texte mit diesen Inhalten ans Ende des Buches, wie um zuvor das Einverständnis erarbeitet zu haben; wer bis hierhin mit dem Kopf genickt hat, behält seine Zustimmung bei. Ja, Metal ist geil, und guckt, was noch alles geht im Metal, worüber andernorts noch aufwändig und kompliziert Plena zu gründen und Mehrheiten zu finden sind. Dem Metal entspringt der Funken für ein besseres Miteinander, und Schäfer bildet das nicht nur ab, sondern teilt diese Ansichten. Solches bestätigt das „Old“ im Titel, setzt man es mit Reife gleich, mitnichten aber das „Dirty“, vielmehr liegt darin eine begrüßenswerte Klarheit, ein Durchblick. Man ist ihm dankbar dafür, dass er die Szene auf diese offene Weise abbildet.

Das ist zwar nur ein Randaspekt dieses Buches, aber einer, der nachdrücklich und nachhaltig hängen bleibt. Die anderen Aspekte sind ebenfalls nicht zu verachten, die Geschichten aus dem Nähkästchen, von Schäfers Zeit als Metal-Musiker in der Band Salem‘s Law und dem – zumindest bis 1989 – vergeblichen Versuch, bei einer Plattenfirma unterzukommen, oder aus Schäfers Arbeit als Heavy-Metal-Journalist für Szenemagazine bis hin zum Rolling Stone, was er zwar mit humoriger Abwertung einbaut, aber eben einbaut. Und damit auch den Aspekt des Persönlichen integriert und den Eindruck aufkommen lässt, dem Ich-Erzähler und mithin dem Autoren selbst näher zu kommen. Dazu tragen auch die ganzen lokalen Bezüge bei, die zu nennen er sich nicht scheut und sie, abermals die Toleranz des Szenepublikums voraussetzend, klar offenlegt: Es geht konkret um Gifhorn und Braunschweig, also um jeden beliebigen anderen Ort in den Provinzen und Scheingroßstädten. Man ahnt jedoch: Braunschweig ist schon ganz trve.

Auch die Selbstironie, mit der Schäfer arbeitet, verlegt das Geschehen auf festen Boden. Nicht nur, dass er über sich selbst lachen kann, auch über die Szene und deren Protagonisten. Selbst seine Götter und die der Gemeinde – dabei fällt überdies auf, dass der Atheist bei der Beschreibung metalinterner Sachverhalte häufig das Klerikale heranzieht – lässt er nicht unangetastet, Kiss, Metallica, Deep Purple handelt er vordergründig enzyklopädisch ab, aber hintergründig aus einem selbsterfahrenen Blickwinkel, mithin glaubhafter und lesbarer als ein Wikipedia-Eintrag, und zudem mit so viel Humor und Kritik gespickt, dass man beides gern konsumiert, das Lexikale und die Herabwürdigung. Es gibt unter allen Göttern, Kollegin Annika Blanke weiß dies ebenfalls, nur einen, der unantastbar ist, und das ist Iron Maiden. Na, und vielleicht Motörhead, aber die waren ja Rock’n’Roll.

Man vertieft sich auch gern in Schäfers Listen, etwa von deutschsprachigen Coverversionen von Hardrock-Songs – die Lanze für Cindy & Bert bricht der Rezensent mit dem Autoren – oder von vergurkten Solos, in seinen Erzählungen von Begegnungen mit Musizierenden oder anderen Schreibenden, von Lesereisen, von Konzerterlebnissen, von der Analogie zum Fußballfantum, von seiner Offenheit für Grenzüberschreitungen, die er als solche nicht einmal markiert, sondern ganz selbstverständlich einbaut; J Mascis ist nicht mal ansatzweise ein Metal-Musiker, das Saxophon in Schäfers Welt – da haben wir sie wieder – ein reguläres Instrument und Doom selbstverständlich ein passables Subgenre. Und man taucht ganz allgemein in Schäfers Leidenschaft ab, für die Mucke, für die Szene, für die Menschen, die damit zusammenhängen.

Indes, Unbedarfte dürften mit mancher Formulierung, mit manchem Inhalt ihre Nöte haben, das Buch richtet sich schon sehr an Menschen, die sich in der Szene etwas auskennen. Anderen sei empfohlen, die Lücken nachzuarbeiten – oder einfach zu überspringen, die Texte erfreuen dann immer noch. Denn Schäfer schreibt in einem einzigartigen, unnachahmlichen Spagat aus hingerotzter Straßenpoesie und hochgebildetem Akademikerdeutsch. Dem gibt man sich nur zu bereitwillig hin und den erkennt man, etwa bei der Lektüre des Rolling Stone, bereits nach wenigen Zeilen. So kann nur einer, ohne dass es aufgesetzt oder erzwungen wirkt. Er kann es eben einfach.

Übrigens ist „Nötes Of A Dirty Old Fan“ nicht das erste Mal, das Schäfer den Titel „Notes Of A Dirty Old Man“ von Charles Bukowski abwandelt: Vor vier Jahren veröffentlichte er ein Buch über ihn, „Notes On A Dirty Old Man“. Passt beides.