Von Guido Dörheide (08.12.2022)
„Skinty Fia“, das dritte Album von Fontaines D.C. (äh ja, Matze, hiermit hätte ich dann die Überschrift im ersten Satz wiederholt und damit eine wichtige journalistische Grundregel nicht nur ad absurdum geführt, sondern sogar eingehalten) [im Sonic Seducer geht das noch redundanter: „‚Skinty Fia‘ ist der Titel des neuen Albums von Fontains D.C.“, Guido! {Matze}], ist bereits am 22. April dieses Jahres erschienen – warum beschäftige ich mich jetzt damit? Ganz einfach – ich war bis vor einiger Zeit davon ausgegangen, dass mich eine gehypte Band aus dem District of Columbia nicht weiter zu interessieren hätte, denn dafür habe ich schon Fugazi. Dann stellte ich fest, dass „D.C.“ für „Dublin City“ steht, und den Rest an Erkenntnis hat mir dann die Übersetzung des gälischen „Skinty Fia“ gebracht: „The Damnation of the Deer“ nämlich, und damit sind wir mittenmang in der Weihnachtszeit drin. Und in dieser schreibe ich jetzt die Rezension zum dritten Album von Fontaines D.C. Die mir mit „Skinty Fia“ nunmehr die dritte irische Phrase nahebrachten, die ich bisher kenne, neben „Sláinte“ und „Géill Slí“.
Also schnell noch in „Dogrel“ (2019) und „A Hero‘s Death“ (2020) reingehört, um a) mitreden zu können und b) begeistert zu werden. Die ersten beiden Alben von Fontaines D.C. sind gleichermaßen ruppig und mitreißend. Gitarre, Bass, Schlagzeug und Grian Chattens (Sprech-)Gesang, alles zusammen erinnert mich an Sleaford Mods, nur dass hier der Dialekt nicht East Midlands, sondern Dublin ist. Großartig.
„Skinty Fia“ beginnt ganz anders: „In ár gCroíthe go deo“ (Für immer in unseren Herzen – ein Grabspruch offenbar) beginnt mit verhaltenem Bassgewummere und dem Gesang von Grian Chatten. Die Zuhörenden erwarten vor die Stirn geknallte Frühstückbrettchen und erhalten statt dessen „Gone ist the night, gone is the day“ in mehrfacher Wiederholung, und vor dem Hintergrund weniger donnernder Musik im Hintergrund ist es tatsächlich Chattens Stimme, die dem Stück von Sekunde zu Sekunde mehr Härte und Eindringlichkeit verleiht. Bei Sternzeit 2:20 setzt dann das Schlagzeug ein – eins der Trademarks von Fontaines D.C. Tom Coll ist ein unglaublich beeindruckender Schlagzeuger, der sich mit seinem manchmal stolpernd anmutenden, aber doch virtuosem Spiel nie in den Vordergrund spielt, aber weitaus mehr als ein Rückgrat für die tollen Songs von Fontaines D.C. liefert. Während das Eröffnungsstück vor sich hin schreitet und sich an Grian Chattens Gesang nichts ändert, bietet Colls Schlagzeugspiel den anderen Instrumentalisten die Möglichkeit, sich unauffällig an Bord zu begeben und aus dem Song nach und nach ein wahres Pandämonium zu machen. Ohne dass man es als Hörende:r merkt. Hammer! Das Album ist jetzt schon gekauft, aber neugierig auf das, was kommt, sind wir dennoch:
„Big Shot“ beginnt mit Bass, Gitarre und Hi-hat und klingt auch erstmal ruhig. Bleibt auch so, macht aber dennoch Lärm, und zwar von der finster-melancholischen Sorte. „How Call Loaf Is“ (so hört es sich an, wenn Chatten den Titel des dritten Songs singt) haut exakt in dieselbe Kerbe und so langsam drängt sich mir der Verdacht auf, Fontaines D.C. wollen einen erstmal einlullen, bevor sie einem ungewohnte Takte um die Ohren schlagen.
Und genauso bewahrheitet es sich (ein perfides Manöver der Band, die düstere Vorahnung der Hörenden exakt zu bedienen…): „Jackie Down The Line“ beginnt mit Bass und Schlagzeug von wieder einmal mehr der düsteren Sorte und dann beginnt Grian Chatten in seinem wirklich wirklich hinreißend klingenden Dialekt eine Melodie zu singen, die den Psychedelic Furs der ausgehenden 80er Jahre gut zu Gesicht gestanden hätte, nur halt eben viel besser ist. Seit hier bin ich Fan. Ab hier nur noch im Dubliner Dialekt vorgetragene Spielergebnisse der Dritten Liga der fußballspielenden Gentlemen – egal, „Skinty Fia“ ist hier bereits mein Album der Stunde (bzw. der Vorweihnachtszeit).
Zum Glück kommt es nicht dazu. „Bloomsday“ ist ein überaus wuchtiges, dräuendes Stück Düsterrock, das dem Leseerlebnis von „Ulysses“ von James Joyce gerecht wird. Alles beides gleichzeitig und dazu eine Flasche Jameson‘s…. wenn der Tag gelaufen ist.
Aber er ist ja noch nicht gelaufen: „Roman Holiday“ wird wieder souverän von Colls Drums eingeleitet und nur Sekunden danach setzt eine 80er-Jahre-Cure-mäßige Bass-Gitarre-Kollaboration ein und Chatten lullt uns wieder einmal mehr mit seinem – diesmal mit ordentlich Hall unterlegtem – Gesang ein; wow, das ist gut und wärmt die Seele. Das anschließende „The Couple Across The Way“ lullabyed die Hörenden dann so richtig mit seinem fast schon nervigem Gesang ein, besticht durch ein auf Autopilot geschaltetes Schifferklavier (das gegen Ende mal aus sich herausgehend solieren darf) und zieht die soeben Genannten dennoch in seinen Bann hinein.
Und dann: Bass und Beat des Titelstückes „Skinty Fia“ fordern die Hörenden nachdrücklich dazu auf, mit Schmackes das Tanzbein zu schwingen. Dazu quietscht die Gitarre, dass es eine wahre Freude ist, und Chatten gibt sich alle Mühe, die Stimmlage auf einem konstanten Niveau zu halten, was ihm gelingt und durchaus wieder mal melodietechnisch schön hypnotisch rüberkommt.
Jetzt könnte man es dann wieder ruhiger angehen lassen, und mit dem Simon-Gallup-Gedächtnis-Bass auf „I Love You“ gelingt das sehr gut. Wieder einmal besticht der Gesang zutiefst, ich persönlich finde es ja immer wunderschön, mir originelle Dialekte anzuhören und könnte niemals damit aufhören.
Das letzte Stück, „Nabokov“, wird wieder vom Bass eingeleitet und dann von hallenden Geräuschen dominiert. Chatten nölt dazu geradezu, das Stück bleibt midtempo, aber macht dennoch ordentlich Krach und klingt dann am Ende schöön langsam aus.
Verdammtes Rentier, was für ein tolles Album!