Von Matthias Bosenick (26.07.2021)
Das Album „Morgenstimmung“ mit dem Titel „Abendstimmung“ beginnen: So geht das. Bei Alben mit Beteiligung von Tom Liwa ist man ja quasi dazu genötigt, sich bei der Auseinandersetzung insbesondere mit den Inhalten zu befassen, was ja zutrifft, doch darf man auch nicht übersehen, dass man es bei den Flowerpornoes mit einer Rockband zu tun hat, die ansprechende Musik macht. Klar, niemand erwartet hier Innovationen, dafür bekommt hier auch niemand Stereotypen. Sondern zuverlässig lässig eingespielte Indierockmusik mit einiger Neunzigerprägung und Liwas gewohnt erzählerischem Gesangsstil. Diskurstanzmusik, mehrere Abschlussjahrgänge vor der Hamburger Schule, die keine reine Retroseligkeit nötig hat, weil das Leben ja nun mal weitergeht, was im Grunde auch die Texte zum Inhalt haben.
Hier gibt es keine Trends, die gab es noch nie, die gingen noch am ehesten von den Flowerpornoes selbst aus. Der Rock ist hier in seiner lässig geschrammelten Variante dargeboten, wahlweise versetzt mit eingängigen Melodien, Neil-Young-artigen Rock-Epen, reflektierten Popsongs, bissigen Mittwippern und hörbarem Bock auf die ganze Sache sowie musischen Fähigkeiten, die diese Rocksongs niemals zu stumpfen Stampfern verkommen lassen. Das Album rockt, wie es die Flowerpornoes seit ihrer ersten Neuzusammenkunft 2007 mit dem Album „Wie oft musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?“ alle Jubeljahre immer mal wieder tun, und wie es Spaß macht, ihnen dabei zuzuhören. Und wie das erst wenige Monate alte Soloalbum „Der, den mein Freund kannte“ von Liwa ganz und gar nicht klingt.
Es ist eben nicht so, dass Liwa seine womöglich weniger bedeutsamen Texte hinter Lärmwänden verbergen will oder so. Mitnichten, er hat immer etwas zu sagen und findet dafür ebenso immer andere Wege, dies zu tun, als es üblich ist. Und wiederum ebenso immer fällt es dem Hörenden sofort leicht, sich in Liwas Gedanken umzugucken, wenngleich er sie niemals vollends erfassen wird. Trotz klarer, bisweilen angenehm gehässiger Worte bleibt Liwa kryptisch, weil er etwa die Position nicht eindeutig festlegt oder die ich-erzählende Person nicht vorstellt oder den Kontext offen lässt. Sicher kann man sich darin sein, dass Liwa seine Gefolgsleute niemals verarschen würde. Was Liwa hier aus der Historie seiner Band und seiner Soloalben übernimmt, ist seine bisweilen gelangweilt-gejammerte Art zu singen, die wiederum ein Charakteristikum ist, das nur anfangs nervt und das man schnell willkommen heißt wie einen lang verschollenen Freund. Und in „Mamas Welt“ grunzt er seinen Text, als hätte er sich gerne im Genre geirrt, sehr geil.
Laut Info kam die Band auf Zuruf von Liwa in Bochum im Studio zusammen und bastelte aus Liwas Handy-Demos rund um eine zufällig vorgefundene Les Paul den Sound dieser Songs zusammen. Mit Liwa sind seine Dauerweggefährten (seit 1977) Birgit Quentmeier und Markus Steinebach zu hören, als 2012er-Neuling ist Schlagzeuger Guiseppe Mautone dabei. Für eine Stippvisite steckte Britta Caspers von der Band The Lost Verses ihren Kopf in die Tür, um mit Liwa „Too Much Coca-Cola“ zu singen.
Wer das Album zu früh bestellte, verpasste die Bonus-CD, auf der Sprecher und Schauspieler Rufus Beck, Sabina Classen (Holy Moses), Schauspielerin Ronja Oppelt, Tilman Rossmy (Die Regierung), Chris von Rohr (Krokus), Sprecher und Schauspieler Daniel Rothaug, Maler und Musiker Moritz „R“ Reichelt, Autor Helge Timmerberg, Sänger Raphael Kestler, Christian Arbeit (Union Berlin) und Tom Liwa selbst die Texte des Albums als Hörbuch einsprechen. Verdammt! Das liest sich schon grandios. Kleine Zahlenspielerei des einst so ausgeprägten Esoterikers: Wenn es die Doppel-CD in exakt 177 Exemplaren gibt – was will er damit sagen? Bezieht er sich auf die als Ermutigungsbotschaft geltende Engelszahl oder das Todesjahr der Märtyrerin Corona – oder hatte er einfach keinen Bock auf 200 Stück?
Wie auch immer: Die „Morgenstimmung“ ist ausschließlich via Bandcamp erhältlich und es wert, sich in die Reihe der grandiosen Flowerpornoes-Platten seit 1987 einzureihen. Auch wegen Saskia Lippolds Cover.