Von Matthias Bosenick (07.03.2025)
Merkwürdig, dass erst ein Preisregen dafür sorgt, dass ein Film, der keinerlei Kosten für sprachliche Neubearbeitung erfordert, überhaupt in Deutschland im Kino gezeigt wird. Vermutlich ist er nicht ausreichend Disney, um zu erwarten, dass er von hinreichend Interesse sein könnte. Denn „Flow“ ist ein Animationsfilm, der eine Katze mit anderen, teils helfenden, teils streitbaren Gefolgstieren auf einem Boot durch die Reste einer aufgelassenen menschlichen Zivilisation schippernd zeigt. Der Film ist aus Lettland, außerdem. Ohne menschliche Worte, außerdem. Allein für die Gestaltung verdient „Flow“ jede Aufmerksamkeit, auch wenn die episodische Story naturgegeben etwas dünn ist.
Kann man bei einem Animationsfilm von Kamerafahrten sprechen? Schwierig, oder? Aber die Entsprechung solcher beeindruckt als erstes, „Flow“ erweckt damit den Eindruck, abgefilmt zu sein, mit Handkamera, Drohnen oder sonstigen dynamischen Mitteln. Fortwährend umkreist man die Hauptfigur, eine schwarze Katze, begleitet ihre Emotionen, den Überlebenswillen, die Todesangst, die Zuneigung, die Abneigung, das Desinteresse, die Neugier, die sie nicht allein mit Blicken oder gelungen abgebildeten katzenartigen Bewegungen ausdrückt, sondern die diese Kamerabewegungen zusätzlich unterstützen. Zunächst im Wald, später auf dem Boot, auch unter Wasser ist man nah dran, nimmt teilweise ihren Blickwinkel ein, blickt andernteils auf sie. Man ist bald selbst Katze.
Dies Katze nun schleicht in einem Wald umher und wird von flüchtenden Hasen und Hirschen erschreckt. Die Hasen flüchten vor einem Rudel Hunde, die Hirsche vor Wasser – in dem die Katze sich eben noch an einem Ufer spiegelte, das aber plötzlich zur tödlichen Bedrohung wird, als es die Welt zu überspülen beginnt. Zusammen mit einem der Hunde, dem weißen, flüchtet die Katze zu ihrem Unterschlupf, das aufgelassene Haus eines Künstlers, der Katzen skizzierte, um aus ihnen Skulpturen zu gestalten. Doch das Wasser steigt und auch diese Zuflucht bietet keinen Schutz mehr. Also rettet sie sich in ein vorbeitreibendes Boot, in dem bereits ein Wasserschwein Unterschlipf fand. Fürderhin gesellen sich weitere Gesellen hinzu: der weiße Hund, einer der feindseligen Großvögel, ein Lemur. Jeder hat einen eigenen Charakter und daher eigene Motivationen, die auf dem Boot einander wahlweise ergänzen oder miteinander kollidieren. Als externer Retter tritt gelegentlich eine Art Leviathan auf, ein gigantischer Wal, der nach keiner bekannten Art gestaltet ist, sondern eher so fantasymäßig.
Ab jetzt wird es etwas ziellos, denn das Ziel des Ganzen ist eher uneindeutig. Überleben, irgendwie, klar, aber warum dann die Fortbewegung? Die Arche kommt an allen möglichen Bäumen, Inseln, Gebäuderesten vorbei, setzt die Fahrt aber fort, nur mit welchem Plan? Die kleinen episodischen Einschübe haben zudem etwas Loopartiges, wenn die Katze fortwährend – gegen ihre Natur – ins Wasser fällt, wenn das Boot vom Kurs abkommt und von den Tieren, die ansonsten kaum menschliche Eigenschaften haben, gesteuert werden muss, oder wenn es zu Konflikten mit anderen Lebewesen kommt, einem Boot voller selbstverliebter Lemuren, die Katze jagenden Großvögeln oder den geretteten restlichen Hunden etwa. Zuletzt verschwindet das Wasser einfach wieder, die Tiere werden dramatisch gerettet und formieren eine Viererbande. Joa, Botschaft ist angekommen.
Lediglich vier deshalb, weil zwei auf der Strecke bleiben: In einer spirituell-psychedelischen Sequenz verabschiedet sich der Stelzvogel ins Sternenreich, lediglich beobachtet von der Katze. Diese Szene kommt – obwohl man von einer kampfbedingten Flügelverletzung weiß – etwas unvorbereitet und bleibt einem deshalb auch eher egal. Anders der Leviathan, der nach Rückgang des Wassers schwer atmend auf einem Hügel vertrocknet. Wer nach dem Abspann sitzen bleibt, sieht ihn dann aber doch wieder majestätisch im Wasser herumtollen. Tod ist hier also nichts Endgültiges oder Schlechtes, auch wenn die Tiere ums Überleben kämpfen.
Das Loopartige der Erzählung birgt Vor- und Nachteile. Als die Katze erstmals von den Vögeln gegriffen und verschleppt wird, kann sie sich losreißen und landet zufällig doch wieder auf dem Boot. Das wirkt erzählerisch etwas simpel, aber man stellt bald fest, dass dies Methode hat, denn sämtliche eingeführten Tiere kommen mindestens noch einmal vor. Ja, es lohnt sich, selbst auf die Hirsche und den Hasen zu warten. Der Zufall schließt es mit ein, dass selbst Objekte wiederholt angeschwemmt werden, wie die mit Seilen umknotete Glaskugel, und erweckt den Eindruck, dass diese Wasserwelt bei aller zurückgelegter Distanz ausschließlich von denselben wenigen Figuren belebt ist. Von Menschen schon mal gar nicht, Relikte einer Zivilisation wirken, als wären sie bereits lang vor der Flut aufgegeben worden, selbst das Atelier des Katzenkünstlers. Zudem lässt es sich zeitlich nicht einordnen, wann diese Flut eintritt, denn das Modernste, was man zu sehen bekommt, sind Holzboote.
Das Sehen indes ist die größtmögliche Freude, die dieser Film offeriert. Die Natur, die Landschaft, das Wetter, die Ruinen, alles wirkt fotorealistisch, und dann noch mit solch einer Dynamik und einem solchen Detailreichtum dargestellt, dass es einem umso echter vorkommt und einen mit Schönheit erschlägt. Anders wiederum die Tiere, die man zwar als dreidimensional auffassen kann, deren Färbung allerdings, offenbar aus künstlerischen Gründen, so flächig gestaltet ist wie bei Malen nach Zahlen. Das akzeptiert man aber leicht, weil die Verhaltensweisen der Tiere, insbesondere von Katze und Hund, dem vertrauten Verhalten eigener Haustiere entspricht, über das man im Film sogar lachen kann – so sind sie halt, wie Hund und Katze. Einzig, dass die Fische nach dem Gefangenwerden an Land nicht zappeln, ist eher untypisch. Die Welt wiederum, in der die Tiere sich bewegen, erinnert trotz der Realitätsnähe in ihrer mystischen Darstellung bisweilen an Open-World-Videospiele, vielleicht an „Zelda“, auch mit einer ähnlich diffusen Zielsetzung, der man folgt.
In den Episoden nun hätte man sich etwas mehr Abwechslung gewünscht, die gezeigte Welt bietet mehr Abenteuer, als dass die Katze lediglich ins Wasser fällt. Da merkt man dann schon, dass „Flow“ eine Mischung aus Remake und Fortsetzung eines Kurzfilms ist, den Regisseur Gints Zilbalodis 2012 zu Studizeiten angefertigt hatte – kaum vorstellbar, wenn man die beiden vergleicht, denn „Aqua“ ist grob gezeichnet und animiert, während „Flow“ überbordet vor Details. So wirkt diese Version dann auch eher, als hätte der Lette mehr Freude am Gestalten als am Erzählen, aber das macht nichts, man kann im Wortsinne abtauchen in diesem Film, der mehr an Studio Ghibli erinnert als an Disney, Gott sei’s gepriesen, und musikalisch zwischen Hollywood und Ambientscore ebenfalls den Schwerpunkt auf das Alternative verlegt. Und nach dem Film geht’s erstmal die Katze kuscheln und mit dem Hund zocken, ja?