Von Matthias Bosenick (30.08.2018)
Für den Verlag ist die Kombination eine Goldgrube: Ein neuer Flix und ein neuer Spirou in einem Buch, das kann man prima als Hardcover veröffentlichen und teurer verkaufen als die anderen Bände der Reihe. Wert ist „Spirou in Berlin“ dies jedoch nur bedingt: Flix setzt die inzwischen 80 Jahre alten Vorlagen zwar gekonnt um, erzählt aber eine recht unaufregende Geschichte. Der abenteuerlustige Spionage-Page darf seinen Freund, den Grafen von Rummelsdorf, aus den Klauen der Stasi befreien – das macht er ungefähr so, wie es sich ein Laie auch ausgedacht hätte.
An den Zeichnungen ist absolut nichts auszusetzen. Flix überträgt Spirou in seine eigene Bildsprache und macht bei keinem von beiden Abstriche, das grenzt an Zauberei. Der Strich ist dynamisch, wie es sich für eine Action-Geschichte gehört, und Flix leistet sich bildübergreifende Panels und ausgestaltete Hintergründe, in denen er auf alles anspielt, was nicht bei drei im Altpapier verschwunden ist. Das Themenspektrum dafür ist breiter als die Storyline: DDR-Kultur, deutsche Comics oder Comicübersetzungen, das Spirou-Universum – Herr Fuchs, Barrabas und „QRN ruft Bretzelburg“ wie „Die Goldmacher“ finden ihren Platz, zudem Spirous Helden und Antihelden bis hin zu Zantafio. Man verbringt ganz viel Zeit damit, in die Bilder abzutauchen und auf die Suche nach Vertrautem zu gehen, um anschließend enttäuscht festzustellen, dass die Handlung diese Tiefe nicht abbildet.
Geschichten aus der DDR ohne Ostalgieschmarrn leben von der furchtbaren Bedrohung, die von dem Unrechtsstaat ausgeht; das nicht zu verstecken, ist ehrenhaft, erforderlich, leserbildend. Das allein reicht als Geschichte aber noch nicht aus, sofern mehr als Flucht und Verfolgung sowie die Ungewissheit über die Loyalität der Kontakte nicht dabei herauskommen. Und dass dann ausgerechnet Fantasios missratener Cousin Zantafio der Strippenzieher sein soll, nimmt reichlich Überraschung und Spannung aus der Hetzjagd. Den haben Spirou und Fantasio noch immer kleingekriegt, und mit dem verbündeten Russland und der Stasi hatte die DDR eigene lebensbedrohliche Parameter zu bieten. Trotz dieses Settings nicht auf Humor verzichten zu dürfen, ist eine weitere Herausforderung, die Flix zwar meistert, aber ebenfalls in den Grenzen der dünnen Handlung und des guten Geschmacks.
Da hat Flix weit tiefer gehende Werke in seinem Oeuvre. „Schöne Töchter“ punktet mit Herz und experimenteller Panelgestaltung, „Don Quijote“ rührt mit seiner Vielschichtigkeit. Er kann’s doch, aber offenbar durfte die dem deutschen Publikum geläufige DDR-Geschichte für den internationalen Markt nicht zu komplex sein, um keine Leser zu verprellen. Was der Verlag Dupuis und das frankobelgische Publikum zum ersten Spirou aus nichtfrankobelgischer Feder sagen, ist noch offen, da das Buch offenbar in Belgien noch nicht veröffentlicht wurde. Die Carlsen-Version ist zwar mit dem Hardcover aufgewertet, lässt aber die obligatorischen Hintergrundinfos nach dem Ende der Hauptgeschichte vermissen.
Aber es kommen ja noch weitere Spirou-Bücher in diesem Jahr, neue Spezial-Bände wie die zweite Ausgabe der Zyklotrop-Reihe. Bislang ist die Qualitätsmarke der zuletzt ausgesprochen intensiv gemolkenen Kuh recht hoch, anders als etwa bei den Drei Fragezeichen; es steht zu hoffen, dass es nicht schon bald bergab geht.