Von Matthias Bosenick (31.08.2022)
Flix alias Felix Görmann ist ja nun echt mal ein ausgezeichneter Zeichner. Was er indes nicht immer ist, ist ein ansprechender Erzähler. Das gilt für seine Adaption „Spirou in Berlin“ ebenso wie für sein neues Marsupilami-Abenteuer „Das Humboldt-Tier“. Das dicke und teure Buch ist umwerfend schön anzusehen, familiengerecht niedlich und auch mal zum Schmunzeln, aber inhaltlich eine Enttäuschung. Nur ein Jahr nach dem vergleichbar enttäuschenden, noch dickeren und noch teureren „Die Bestie“ von Pé und Zidrou ersinnt der Berliner eine weitere Mär rund um die Erst-Entdeckung des schwarzgelben Wundertiers aus dem Palumbianischen Dschungel, die André Franquin 1952 noch seinen Serienhelden Spirou und Fantasio andichtete. Die Grundideen bei Flix sind ja nicht schlecht, nur leider verliert sich diese Berlin-in-der-Weimarer-Republik-Geschichte vornehmlich in süßlich-braver Glückskindgerechtheit.
Zunächst lässt Flix den Forscher Alexander von Humboldt im Südamerika des Jahres 1801 nach Art von Indiana Goof durch den Urwald stolpern, ignorant und selbstgerecht, also schön kritisch aus heutiger Sicht, und dabei versehentlich das laut Franquin unfangbare Marsupilami einfangen, in eine Kiste stecken und nach Europa verschiffen. Wie so viele weitere Kisten, die 1931 noch immer unausgepackt im Berliner Naturkundemuseum vor sich hin schimmeln. Was wohl tatsächlich zutrifft.
Leider hängt Flix den Hauptteil der Geschichte dann an einem kleinen Mädchen auf. Mimmi ist eine Art „Glückskind“ einer alleinerziehenden Mutter, was im Berlin zwischen zwei Kriegen noch ein Skandal war; an dieser Stelle gleichen sich „Das Humboldt-Tier“ und „Die Bestie“ frappierend, nur dass jene im tatsächlichen Geburtsjahr des Marsupilamis spielt, also 1952. Ein Kumpel der Mutter arbeitet im Naturkundemuseum, und versehentlich kracht genau die Kiste mit dem im nicht näher spezifizierten grünlichen Rauch einer Andenmumie narkotisierten Marsupilami auf den Boden. Mimmi nimmt das wiedererwachte Tier heimlich mit nach Hause, und wie in „Die Bestie“ – nächste viel zu deutliche Analogie – geht es fortan hauptsächlich darum, es zu verbergen, nicht nur vor dem näheren Umfeld, sondern auch vor üblen Gestalten, die aus dem fremden Wesen Kapital schlagen wollen.
Genau: Darin steckt keine stringente Handlung, sondern lediglich Material für kleine Episoden und einige Gags. Das ist bedauerlich, und da man dies ähnlich bereits von „Spirou in Berlin“ kannte, war eine gesunde Vorsicht vor dem „Humboldt-Tier“ nicht nur angeraten, sondern berechtigt. Was sehr wundert, schließlich gelangen Flix nicht zuletzt mit „Don Quijote“ und „Münchhausen“ umwerfend gut erzählte Geschichten. Auch hier nimmt er sich fremden Materials an, gestaltet aber weitaus freier eine eigene Tragik um die vertrauten Plots herum.
Auch die eingebauten Gags sind nicht wirklich zündend. Wahlweise treffen sie niedlich einen kindgerechten Slapstick-Humor oder zitieren Zeitgemäßes von damals und Zeitgenössisches von heute für die erwachsenen Lesenden mit einem erweiterten Popkulturhorizont. Diese erscheinen jedoch meistens kontextfrei und damit willkürlich und grenzen nicht selten ans Alberne – oder ans Anbiedernde. Es ist ja ganz schön, dass das Marsupilami im Vorbeihüpfen einigen Nazis mit dem Keulenschwanz aufs Maul haut, aber selbst dieses gut gemeinte Zeichen erscheint im Sinne der Geschichte sinnfrei, weil die Nazis sonst keine Rolle spielen.
Dafür sind die Zeichnungen einmal mehr exorbitant herausragend. Das kennt man von Flix, dafür liest man seine Bücher gern, und so frei, wie er etwa in „Schöne Töchter“ mit den Panels umgeht, verfährt er gelegentlich auch hier im „Humboldt-Tier“. Sein namentlich übrigens aus historischen Gründen nicht genanntes Marsupilami – diese Bezeichnung bekommt es ja erst 21 Jahre später – lehnt er deutlich an das des Erfinders Franquin an, da verfährt Flix anders als seine Kollegen Pé und Zidrou in „Die Bestie“. Zudem gestaltet er das Museum enorm detailreich, laut Internet sogar authentisch, das ist sehr zu loben, ein Fest fürs Auge und allein schon die Anschaffung wert. Die allerdings weit über regulären Comic-Preisen liegt, da schlägt Carlsen einmal mehr aus der Berühmtheit von Zeichner und Figur Extrakapital.
Wie überhaupt Spirou nach einer Durststrecke vor rund 30 Jahren mittlerweile überraschend ein goldenes Kalb geworden ist, das man schier unendlich melken kann. Nun verbieten es Franquins Erben zwar offenbar, das Marsupilami nach der Ausnahme „Der Zorn des Marsupilamis“ von Vehlmann und Yoann 2016 im Kontext mit Spirou wieder auftreten zu lassen, doch gehört es selbstredend in dieses Universum. In jenem erschien zuletzt mit „Der Triumph des Zyklotrop“ von Brice Cossu, Alexis Sentenac und Olivier Bocquet ein weiteres One-Off der Spezial-Reihe, das bereits 2018 parallel zum Echt-Film „Die Abenteuer von Spirou & Fantasio“ entstand und eine Geschichte quasi zu den Dreharbeiten ersinnt, somit nicht wirklich das klassische Buch zum Film darstellt. Schöne Idee, die sich jedoch ähnlich wie „Das Humboldt-Tier“ eher in Episoden verliert, als eine durchgehend spannende Geschichte zu erzählen. Zudem offenbart Carlsen hier, dass die Sprechblasen nicht mehr handgelettert sind, auch wenn sie so aussehen – mit typischen Tippfehlern, die jedem unterlaufen, etwa auf Seite 19, Spirou: „Ich muss zugeben, das ist schon gabz lustig!“
Als nächstes Spezial-Buch erscheint schon im Oktober mit „Der Wolfsmensch“ der dritte Teil der zuvor von Charel Cambré und Marc Legendre nur in Belgien veröffentlichten Robbedoes-Trilogie, die mit „Happy Family“ und „Zantafios Plan“ ihren Anfang nahm und die etwas an die Zeit erinnert, in der Nic und Cauvin für die Serie verantwortlich zeichneten. In jeder Hinsicht. Und Flix verrät, dass er Lust hätte, auch die dritte wichtige Franquin-Figur zu neuem Leben zu erwecken: Ein Gaston-Abenteuer liegt ihm auf der Zunge, doch schieben auch diesem die Erben Franquins einen Riegel vor. Angesichts der dünnen Geschichten um Spirou und das Marsupilami darf man da wohl aufatmen.