Fiesta Alba – Pyrotechnic Babel – Neontoaster Multimedia Dept./Bloody Sound 2025

Von Matthias Bosenick (08.04.2025)

Wer die vor zwei Jahren erschienene selbstbetitelte EP des italienischen Maskenensembles Fiesta Alba noch im Ohr hat, vermag zu ahnen, was ihn nun auf „Pyrotechnic Babel“ erwartet, dem ersten kompletten Album der Römer: hyperrhythmische Zappelmusik aus mehr Quellen, als man sich ausmalen kann, zumeist grundiert vom Afrobeat und versetzt mit Stimmbeiträgen von rund um die Welt. Das Album knallt wie die Böller, die der anonym besetzten Band den Namen gaben.

Der Afrobeat ist wahrhaftig Grundlage und wesentliches Element der meisten der zehn Stücke auf diesem Album. Oder neun, denn nur die CD-Version ist vollständig, digitalen Hörenden entgeht der achte Song. Ebenfalls elementar sind die elektronisch bis organisch generierten Loops, auf denen hier weite Strecken der Tracks errichtet sind und die ihnen eine wiedererkennbare Struktur verleihen. Der Rest – besteht aus Zutaten, die man selbst mit irrsinnig nur unzulänglich charakterisieren kann. Was nicht nur an den drei bis fünf anonymen Hauptbeteiligten liegt, sondern auch an den fünf Gästen, die aus aller Welt ihre Beiträge einbringen. Interessant ist, dass die Band selbst von Math Rock als Grundlage spricht; Polyrhythmik äußert sich hier eher in afrikanischer Ausprägung, Rock trotz Gitarreneinsatz beinahe gar nicht, da hat das Trio – der auf der EP noch als viertes Mitglied genannte Schlagzeuger teilt sich hier den Posten mit einem anderen Drummer – seine Inspiration definitiv zu etwas Eigenem weiterentwickelt.

Grundsätzlich gilt also für alle Tracks: Dem Afrobeat entlehnte Polyrhythmik und kurze, prägnante Loops bilden eine wiederkehrende Grundlage, auf der Fiesta Alba experimentieren, indem sie allerlei zusammenrühren, was man zuvor noch nie zusammen zu hören bekam. Die schrägen Harmonien und die dezenten Industrial-Sounds begleiten in der das Album eröffnenden Vorab-Single „No Gods No Masters“ die Raps von Katarina Poklepović, einer Hälfte des Duos So Beast aus Bologna. Der Song führt den Rock ad absurdum, schließlich klingen die Gitarren hier, als wären sie Synthies. Der griechische Politiker Yanis Varoufakis (Γιάνης Βαρουφάκης), hier auf Italienisch Gianis genannt, bereichert per Sprachsample das Stück „Technofeudalism“, in dem die Loops aus reichlich ungewöhnlichen Melodiefragmenten bestehen und in das die Band Sequenzen integriert, die die Wucht des Metal tragen, aber nicht dessen Sound.

Mit feministischen Inhalten geht es in „Je suis le Wango“ weiter, gerappt auf Französisch, mit einer westafrikanischen Gesangsmelodie in den Nicht-Rap-Passagen, dargeboten von Sister LB aus dem Senegal, Rapperin, Aktivistin, Feministin. Sie performt zu einer abstrakt tanzbaren Melancholie, die sich aus der Spannung zwischen Härte und Melodie, Rauhheit und Klarheit ergibt. Bläsersequenzen verleihen zuletzt eine zusätzliche, aber unerwartete Struktur; naja: Erwartbar ist hier ja sowieso schon mal gar nichts, das passt also perfekt. Ein nervöser handgespielter Drum And Bass mit einer geloopten schrägen Gitarre leitet eine „Collective Hypnosis“ ein, die mit Trompetensolo, aber ohne Stimme zu einer verrückten Party auffordert.

Zwischen Sister LB und dem nächsten Gast liegen rund 13.800 Kilometer: Judicious Broski ist ein junger Rapper aus Tokyo, der mit seinem harten Sprachstil die Monotonie von „Waku Waku“ überflügelt. Monoton bleibt es anschließend in „Post Math“, dessen Titel man auch als Genrebeschreibung für Fiesta Alba heranziehen kann. Eine monotone Zwei-Ton-Gitarre
begleitet einen Minimal-Electro-Beat, der weit mehr nach retro klingt, als es das ansonsten weit in eine globalisierte Zukunft gerichtete Album ansonsten zulässt. Mit ihrer kraftvollen Stimme singt Alessandra Plini danach „Learn To Ride Hurricanes“, und sie singt es so, dass man erstmal aufs Booklet gucken muss, ob dies wirklich ein Song über Harry Kane sein soll. Soll es nicht. Dieser Song webt epische, harmonische Teppiche, die begleitet von den üblichen Zutaten beinahe kakophonisch erscheinen. Der Song ist ein Kopfnicker mit Genickschlag, der zuletzt sogar Punk-Speed aufnimmt, nur ohne den Punk-Rotz.

Nur die CD-Käufer hören dann „Dromocracy“. Oberflächlich gehört, hat dieses instrumentale Midtempo-Stück den geradesten Beat des Albums, doch begleitet ihn die Afrobeat-Frickelei, die man die ganze Zeit als Konstante dabei hat. Als vorletztes kehren Fiesta Alba zurück in den Senegal und überlassen das Mikrofon Pape Siriman Kanouté alias Pape Kanoutè, der nach einem Blues-Intro zu einem frickeligen Afrobeat mit wechselndem Tempo und eingestreuten kreischigen Effekten singt. Zuletzt gehört die Stimme abermals einem Sample, dieses Mal dem verstorbenen Kulturwissenschaftler Mark Fisher alias k-punk, der sich über den Turbokapitalismus und die Folgen für Gesellschaft und Psyche auslässt. „Mark Fisher Was Right“, behaupten Fiesta Alba deshalb und lassen ihn zu einem an Youth erinnernden Downbeat-Dub referiert. Streckenweise ist der Track wunderbar noisy, und ist das da eine Tuba, die da den Ton angibt?

Claudio Moneta wird in den Eingeweiden des Internets bei Fiesta Alba als Komponist gelistet, er dürfte also jener Octagon sein, der hier für Komposition, Gitarre und Grafikdesign gelistet ist. Dieses Geheimnis lüften die Maskierten also versehentlich von sich aus, und wenn man die Suchmaschinen bemüht, finden sich für Herrn Moneta so Querverweise wie Roseluxx, das Ensemble Fagotti Favolosi, Il Wedding Kollektiv, Monzòn und Goah. Bleiben chiffriert: Dos Caras (Produktion, Arrangements, Synthies), Fishman (Bass) sowie die beiden Schlagzeuger El Mistico und Pyerroth. Da unter einer der Wrestlingmasken ein Rauschebart hervorquillt und Federico Scalas mit Moneta bei einigen Bands mitmachte, kann man ihn als weiteres codiertes Mitglied annehmen. Aber das ist irrelevant – was zählt, ist dieser genresprengende musikalische Verweis auf eine mögliche Zukunft, die kombiniert, was sich anbietet, du daraus neue, eigene Kultur generiert.